Mika ist 22 Jahre alt und studiert. In seiner Freizeit spielt er gerne Videospiele und geht auf Cosplay-Conventions. Doch es ist egal, wo er hingeht, lange Zeit versteckte er einen Teil von sich vor der Welt und fühlte sich nicht vollkommen. Denn: Er ist ein Trans*Mann.
Durch Unsicherheit und Unwissen treffen Transsexualität, Transgender oder auch Transvestit-Begriffe, die häufig in einen Topf geworfen werden, auf wenig Verständnis oder Differenzierung. Transgender ist als Synonym zu dem Begriff Transgeschlechtlichkeit zu verstehen und beschreibt Personen mit Geschlechtsinkongruenz. Laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, sind sie Menschen, denen bei der Geburt ein Geschlecht zwar zugeordnet wurde, jedoch stimmt dieses nicht mit ihrer Geschlechtsidentität überein. Es besteht also der Wunsch, einem anderen Geschlecht zugehörig zu sein und anerkannt zu werden.
Trans* (Trans-Sternchen) wird häufig als Sammelbegriff für die verschiedensten Individuen und ihr Selbstbild genutzt. Dazu gehören beispielsweise Transidente Personen, Trans*Männer und -Frauen oder nicht-binäre Menschen. Mit dem Begriff werden mehr Möglichkeiten für verschiedene geschlechtliche Identitäten geschaffen.
Der Begriff LGBTQIA+ stammt aus dem englischsprachigen Raum und steht für verschiedene sexuelle Orientierungen. Übersetzt inkludiert er lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen. Das Plus wird hier als Stellvertretersymbol für weitere Geschlechtsidentitäten genutzt.
Intersexuelle Menschen haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale. Dies äußert sich beispielsweise durch einen besonderen Geschlechts-Chromosomensatz, die Geschlechtsorgane oder auch ihr äußeres Erscheinungsbild.
Unter Non-binary (nicht-binär), versteht man Menschen, die sich nicht als männlich oder weiblich identifizieren. Sie befinden sich auf dem Spektrum zwischen oder außerhalb der Geschlechterordnung. Auch nicht- binäre Personen werden als Trans* bezeichnet, weil sie sich meist nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, welches ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
In Deutschland leben laut der deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität schätzungsweise 60.000 bis 100.000 Trans*Personen. Eine genauere Einschätzung ist schwer, da die Definitionen von Transgeschlechtlichkeit stark auseinandergehen. In der Juristik oder auch Medizin gelten Individuen als Trans*, sobald sie ihre Diagnose erhalten haben und geschlechtsangleichende Maßnahmen vornehmen. Jedoch können sich Menschen auch als Trans* identifizieren, ohne jemals das Bedürfnis zu verspüren sich physisch zu verändern oder begutachten zu lassen. Auch innerhalb der LGBTQIA+ Community gibt es begriffliche Uneinigkeiten. Beispielsweise wird der Begriff der Transsexualität häufig genutzt, wenn es eigentlich um Trans*Personen geht. Dabei wird der Ausdruck in der LGBTQIA+ Community von vielen Betroffenen kritisiert und abgelehnt.
Transsexualität suggeriert für viele außenstehende Personen zunächst einen Zusammenhang zwischen Trans* sein oder der Transition und ihrer sexuellen Orientierung. Dies ist irreführend, denn tatsächlich sind die Aspekte unabhängig voneinander. Die Sexualität einer Trans*Person ist als ein eigenständiger Teil anzusehen.
Der Wunsch einer optischen Anpassung ist bei vielen Trans*Personen groß. Durch die Spannungen und dem inneren Konflikt zwischen den angeborenen Geschlechtsmerkmalen und der Geschlechtsidentität kann es bei sehr großer Diskrepanz zu einer Kombination von Depressionen, Angst und Reizbarkeit kommen. Auch Genderdysphorie genannt.
Um ihr Leiden zu mindern, ist für viele die Hormontherapie der erste Schritt. Da diese mit teilweise irreversiblen Veränderungen einhergeht, ist eine Psychotherapie für Trans*Personen vor Behandlungsbeginn verpflichtend. Ohne eindeutige und schriftliche Diagnose eines erfahrenen Psychiaters oder Psychologen kann der Prozess der Hormonbehandlung nicht bestritten werden. Besonders bei Minderjährigen ist die gesetzliche Lage klar. Laut dem Facharzt für Kinderendokrinologie, Christof Land, werden Jugendliche in der Regel erst ab 16 Jahren mit Hormonen behandelt. Dies erklärt er in einem Beitrag des Kompetenznetz für Geschlechtsdysphorie, Geschlechtsinkongruenz und Trans-Gesundheitsversorgung. Zusätzlich müssen das Einverständnis der Erziehungsberechtigten und eine entsprechende Reife des Jugendlichen vorliegen. Ist dies nicht der Fall, gibt es dennoch die Möglichkeit, die Pubertät anderweitig zu unterdrücken bzw. zu pausieren. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, Aufklärungsgespräche geführt und medizinische Untersuchungen zur Risikominimierung erfolgreich abgeschlossen, könnte die Hormontherapie theoretisch beginnen. Allerdings muss jede Behandlung, die von der Krankenkasse übernommen werden soll, auch von dieser genehmigt werden.
Dies war für Mika ein sehr frustrierender Prozess. Trotz seiner offiziellen Diagnose habe er sehr viele private Details von sich preisgeben müssen, mehrfach Absagen erhalten und hat gegen diese Einspruch erhoben. „Es gibt immer irgendwas, das scheinbar fehlt. Wenn man das abgibt, wird einem im nächsten Schreiben erklärt, dass man wieder etwas anderes braucht.“ So habe er seine Hormontherapie erst nach einem monatelangen Kampf beginnen können.
Trans*Männern wie Mika wird zur Behandlung Testosteron zugeführt. Es ist eins der wichtigsten Geschlechtshormone des Mannes, das bei Cis-Männern zu 95 Prozent im Hoden produziert wird. Da dies für Trans*Männer nicht möglich ist, haben sie andere Optionen. Das Sexualhormon kann durch das tägliche Auftragen eines Gels oder in Form einer Spritze in den Körper aufgenommen werden. Die Dosierung wird je nach gesundheitlichem Zustand und persönlichen Präferenzen individuell angepasst. „Ich bekomme alle zehn Wochen eine Hormonspritze“, erzählt Mika. Er entschied sich von Beginn an für eine starke Dosierung des Hormons. Dementsprechend hatte er die ersten Monate seiner Therapie Schwierigkeiten sich an die Dosierung und die damit einhergehenden Gemütsschwankungen zu gewöhnen.
Besonders die letzten Wochen vor der Auffrischung waren herausfordernd. „Ich wurde schon so ein bisschen depressiv, weil man dann ohne viel Testosteron plötzlich wieder so antrieblos war.“ Mittlerweile habe sich dies jedoch eingependelt. Durch seine Hysterektomie, also die Entnahme der Gebärmutter und der Eierstöcke, ist er nun auf das Hormon angewiesen.
Die Hormonbehandlung bringt jedoch auch Risiken mit sich. So kann es vermehrt zu gesundheitlichen Erkrankungen wie erhöhtem Blutdruck, Blutverdickungen, einem Anstieg der Leberwerte oder auch zu Fettstoffwechselstörungen kommen. Zudem gehören Akne und eine Gewichtszunahme häufig zu den Begleiterscheinungen der Hormontherapie bei Trans*Männern. Eine besonders hohe Gefahr stellen Testosteron-Präparate aus dem Internet, dar. Sie werden gekauft, in der Hoffnung, das äußere Erscheinungsbild der Trans*Männer schneller zu verändern, ohne beispielsweise auf das Gutachten ihrer Psychologen warten zu müssen. Jedoch sind die Präparate in ihrer Dosierung in den meisten Fällen nicht an die individuellen Bedürfnisse der Personen angepasst. Ihre Einnahme kann vor allem ohne ärztliche Absprache zu verhängnisvollen Komplikationen führen.
Trotz der Risiken überwiegen für viele Trans*Personen die Vorteile der Hormontherapie, denn sie stellt einen bedeutsamen Meilenstein in ihrer Transition dar. Aus mehreren Studien des Bundesverbands Trans* geht hervor, dass sich bei 80 Prozent der transgeschlechtlichen Teilnehmenden die Lebensqualität nach dem Beginn einer Hormontherapie und/oder chirurgischen Behandlungen verbesserte. Zudem sanken die Suizidgedanken, die sie vor der Therapie plagten erheblich und auch die Geschlechtsinkongruenz nahm beachtlich ab.
Die Hormontherapie ist trotz der Herausforderungen und Risiken, die mit der Entscheidung einer so drastischen Veränderung einher gehen, für viele Trans*Personen ein wichtiger Schritt aus der Dunkelheit und der erste ihrer Transition. Vor allem jungen Trans*Personen wie Mika schenkt die Behandlung Hoffnung auf eine freie, glückliche und selbstbestimmte Zukunft im für sie richtigen Körper.