„Ich möchte, dass der Patient im Mittelpunkt steht. Und dann zerreibe ich mich zwischen diesem Anspruch, den ich durch den hippokratischen Eid habe und den Rahmenbedingungen, die mir die Politik setzt, einer sogenannten stetigen Kommerzialisierung des medizinischen Ablaufs. Und in diesem Spannungsfeld habe ich mich bewegt, nicht nur ich, sondern wir alle”, so fasst Neurochirurg Christos Pantazis das Arbeitsumfeld im Krankenhaus zusammen. Er hat viele Jahre im Städtischen Klinikum in Braunschweig gearbeitet, bevor er sich der Politik verschrieben hat. Pantazis diagnostiziert ein renovierungsbedürftiges Gesundheitswesen, das die Arbeit von PflegerInnen und ÄrztInnen erschwert. Es ist ein Zusammenspiel von verschiedenen Lücken, die zu einem immer größeren Loch werden. Die Konsequenz ist, dass das Arbeiten in Krankenhäusern zunehmend unattraktiv wird.
Die Zeit ist knapp
Der Arbeitsalltag ist geprägt von Stress und Überstunden. Laut dem Marburger Bund Niedersachsen arbeiten rund 50 Prozent der ÄrztInnen über 49 Stunden die Woche. Dabei werden Überstunden häufig aufgrund des fehlenden Budgets nicht bezahlt, sondern auf ein Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Steigender Personalmangel führt zu mehr Arbeit in allen Bereichen. Während es weiterhin schwer bleibt, ein Medizinstudium zu absolvieren, verlieren praktizierende ÄrztInnen immer mehr an Kraft. Der zwischenmenschliche Umgang und der raue Umgangston über die Hierarchieebenen hinweg führen zu Unmut. Verwaltungstätigkeiten, wie Berichte schreiben, Entlassungspapiere fertig machen oder ähnliches lassen noch weniger Zeit für die PatientInnen. Wird die neue Krankenhausreform an diesen Stellen Erleichterung bringen? In der Vergangenheit musste man leider von einstigen Fortschritten wieder Abschied nehmen, berichtet Pantazis: „Wir hatten mal das sogenannte Dreischichtmodell. Davon sind wir wieder abgekommen. Immer mehr Fälle mussten durchgeschleust werden in immer weniger Zeit, bei immer weniger Personal. Und das hat dazu geführt, dass wir dann irgendwann einmal wieder zu Bereitschaftsdiensten von 24 Stunden umsteigen mussten.“
Die Sache mit dem Personalmangel
Doch was sind eigentlich die Auswirkungen des Personalmangels? Es gibt ihn fast überall, und man hört immer wieder davon. Fehlendes Personal hat verheerende Folgen für Krankenhäuser: Immer weniger Betten sind belegt, damit werden weniger Fälle bearbeitet, was zu noch weniger Geld führt. Laut Pantazis hätten vor allem die Arbeitsbedingungen zu dieser Situation geführt. Irgendwann hätten die Menschen mit den Füßen abgestimmt und ihren Arbeitsplatz verlassen. Dies hätte in der Folge dazu geführt, dass der Dienstplan nicht mehr aufrechterhalten werden konnte und die verbliebende Belegschaft die doppelte Arbeit leisten musste. Am Ende hätte genau dies eine massive Auswirkung auf die Arbeitsabläufe des Krankenhauses. Eine kleine Hoffnung gibt die aktuelle Studie „Ich pflege wieder, wenn…” der Arbeitnehmerkammer Bremen. Dort wurde bei Befragungen festgestellt, dass 88 Prozent der ausgestiegenen Pflegekräfte eine Rückkehr bei verbesserten Arbeitsbedingungen nicht ausschließen.
Aktuell betrifft die sich zuspitzende Situation unsere gesamte Gesellschaft, da wir auf das funktionierende System Krankenhaus angewiesen sind. Aber es fehlt am Ende nicht nur an Fachpersonal, sondern an einem entsprechenden Arbeitsklima. In der oben erwähnten Studie wurde an erster Stelle unter den Top Ten wichtigsten Arbeitsbedingungen, die notwendig für eine Rückkehr sind, zu 97 Prozent der faire Umgang mit KollegInnen festgehalten. Dies impliziert einen vorherrschenden unfairen Umgang, der auch von ärztlicher Seite bestätigt wurde.
“Du bist also der Arsch vom Dienst”
Ein Beispiel führt Pantazis zu den starren Krankenhaushierarchien an: „Röntgenbesprechung ist das geilste, was ich jemals erlebt habe. Da ist die Hierarchie wundervoll. Da gibt es eine feste Sitzordnung. Ganz vorne sitzt der Chef. […] Der Radiologe kommt rein, das werde ich nie vergessen, auch ein Kerl des alten Schlages […] geht auf den Chefarzt zu und schüttelt dem Chefarzt die Hand: „Hallo,“ und setzt sich hin. Danach erläutert er die ganzen Röntgenbilder. Und die anderen werden gar nicht begrüßt. Du stehst dann da und sagst, alles klar, du bist also der Arsch vom Dienst.” Hierarchien gab es schon immer in Krankenhäusern. Sie haben auch ihren Sinn, denn in kritischen Situationen muss klar sein, wer die Entscheidungen treffen darf und dementsprechend auch die Verantwortung dafür trägt. Problematisch wird es vor allem dann, wenn Menschen die Macht ihrer Position ausnutzen und respektlos auf menschlicher Ebene agieren oder ihnen der Stress über den Kopf wächst, erzählt eine duale Studentin der Hebammenwissenschaften aus einem Braunschweiger Krankenhaus. Es würde sich eine allgemeine Unzufriedenheit durch alle Hierarchie-Schichten ziehen, und gerade die ChefärztInnen würden meist sehr viel von sich halten. Dies führe häufig bei Entscheidungsfindungen zu Problemen. Die Kernproblematik sei, dass dies allerdings einer guten medizinischen Beratung im Weg stehe.
Ausweglosigkeit bei ÄrztInnen
Eine Ärztin eines niedersächsischen Krankenhauses berichtet: „Was hinzukommt, ist ein sehr schwieriges Abhängigkeitsgefüge, was für alle Ärzte in Weiterbildung besteht, weil solange man auf die Weiterbildung angewiesen ist, man letztendlich immer vom Dafürhalten der OberärztInnen und der ChefärztInnen abhängt. Und sobald man dort in Ungnade fällt, in Kauf nehmen muss, in dieser Klinik nicht mehr weitergebildet zu werden. Was sich wenige Menschen leisten können.“
Arbeits- und Organisationspsychologin Clara Hemshorn de Sanchez würde ein solches Vorgehen als destruktiv bezeichnen. Sie stellt weiter fest: „Man wird dann in diese destruktive Kultur reinsozialisiert, was dazu führen kann, dass man sich diese Muster zumindest teilweise aneignet und so dazu beiträgt, dass diese weiterleben.“ Ein Abweichen Einzelner würde an solchen Stellen dann bedeuten, dass auch KollegInnen oder Vorgesetzte einbezogen werden müssten, was die Hemmschwelle größer machen würde. Ein leitender Arzt der Notaufnahme, mit viel Erfahrung, aus Niedersachsen berichtete, dass er von bestimmten ChefärztInnen nicht respektiert werden würde, da er keinen Doktortitel habe. Dies führe dazu, dass er weniger ernst genommen werde. „Da würde ich denken, die direkte Konsequenz ist erstmal Demotivation und negativer Affekt“, reagiert Hemshorn de Sanchez darauf. Zu destruktiven Hierarchien in Organisationen führt sie ebenfalls an, dass ein solches Gefüge auch für die Organisationen problematisch sein könne, da es verhindere, dass alle Mitarbeitenden offen kommunizieren können, um ihre Beobachtungen zu teilen und Meinungen zu äußern und so Fehler rechtzeitig entdeckt, Abläufe verbessert und innovative Lösungen gefunden werden können – vor allem, wenn es darum geht Patienten bestmöglich zu versorgen.
Kommerzialisierung der Krankenhäuser vs. gewissenhafte Patientenversorgung
Neben dem rauen Umgangston und den starren Hierarchien ergeben sich Finanzierungsprobleme, die zu einer wachsenden Kommerzialisierung führen. Die Ursache hierfür liegt bei dem dualen Finanzierungssystem. Dies bedeutet, man hat zwei Ausgabequellen. Zum einen sind das die laufenden Betriebskosten, wie Personalkosten, Instrumentarien und Ähnliches. Zum anderen hat man die Investitionskosten, also die Instandhaltung des Gebäudes, die das jeweilige Bundesland finanzieren soll. Allerdings leisten die Länder diese Kosten nicht vollumfänglich, genauer gesagt, nur zur Hälfte. Das führt dazu, dass die Krankenhäuser diese Kosten selbst tragen müssen. Konkret bedeutet dies, dass das Personal reduziert und die Fallmengen erhöht werden, um das Defizit auszugleichen, wenn der Träger nicht zahlt. Schuld an diesem Vorgehen sind die Fallpauschalen. Krankenhäuser bekommen je nach Fall eine festgelegte Pauschale ausgezahlt. Problematisch sei dabei laut Pantazis, dass nicht jeder Patient gleich viel Behandlungsaufwand mit sich bringe, auch wenn der Fall scheinbar gleich ist. So habe man zum Beispiel bei einer älteren Person durchschnittlich mehr Aufwand und damit auch mehr Kosten im Gegensatz zu einer jüngeren Person. „Das ganze Gesundheitssystem funktioniert seit längerer Zeit nur noch durch die intrinsische Motivation der Mitarbeiter”, so bringt eine Ärztin die aktuelle Situation auf den Punkt.
Renovierungsbedürftige Krankenhäuser
Aufgrund des beschriebenen Investitionsstaus der Länder, sind viele Kliniken renovierungsbedürftig oder einfach nicht mehr zeitgemäß. Der leitende Arzt der Notaufnahme berichtet von seinem Arbeitsplatz: „Also bei uns ist es halt einfach die räumliche Enge. […] Die Notaufnahme ist eigentlich als Ersatz für die chirurgische Ambulanz gebaut worden. Und dann haben sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert und dann ging der Trend plötzlich in Richtung von zentralen Notaufnahmen. […]” Vor den gesetzlichen Änderungen hat es verschiedene Fachambulanzen gegeben, die zunehmend interdisziplinär zusammengefasst wurden und somit die Bedürfnisse der NotfallpatientInnen besser bedient werden konnten. Auch in der Braunschweiger Geburtsklinik sind die Räumlichkeiten renovierungsbedürftig, so die duale Studentin der Hebammenwissenschaften. Ferner erläutert sie, die Betten seien umständlich und die Raumaufteilung nicht an eine gute Arbeit im Kreißsaal angepasst.
Ansätze und Überlegungen zur Problemlösung
Genauso vielschichtig wie die erläuterten Probleme sind, sehen auch deren Lösungsansätze aus. Es gibt offenbar keine pauschale Problemlösung. Es muss an vielen Stellen Veränderungen geben, damit sich die Situation in den Krankenhäusern verbessern kann: angefangen beim Personalmangel, der durch verbesserte Arbeitsbedingungen und geringere Ausbildungshürden verringert werden könnte. Weiter über die Hierarchie, wo dringend von der Führungsebene ausgehend ein anderer Umgang etabliert werden muss. Bis hin zum Finanzierungsstau der Länder, welcher schnellstens behoben werden sollte. Konkret wünschen sich die Interviewten eine Abschaffung der Fallpauschalen und mutigere sowie gravierende Veränderungen der Politik. Zudem hoffe man auf einen Personalschlüssel für das ärztliche Personal. Dieser sorgt dafür, dass die Anzahl der MitarbeiterInnen für einen bestimmten Bereich oder eine bestimmte Aufgabe festgelegt wird. Erhofft wird zudem eine deutliche Erleichterung durch die Digitalisierung und eine Entbürokratisierung, sodass man der wirklichen ärztlichen Tätigkeit nachgehen könne.
Die aktuell geplante Gesetzgebung mit Vorhaltepauschalen, die im Voraus an Krankenhäuser gezahlt werden und diese damit finanziell vorentlasten sollen, gibt Hoffnung. Sie geht eines der großen Probleme zumindest zum Teil an. Es bleibt jedoch weiterhin viel zu tun, wenn Krankenhäuser in dem gewünschten Maß, mit einem entspannten Personal und dem gewollten Standard bestehen bleiben sollen – auch zum Wohle der PatientInnen.