Meine Finger bewegen sich über den Bildschirm, während ich mein Handy entsperre und Instagram öffne. Mein Herz fängt an schneller zu werden, als ich das Bild auswähle, das ich vor wenigen Minuten sorgfältig bearbeitet habe. Der Bauch ist eingezogen, der Winkel stimmt, das Outfit ist perfekt– genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Doch irgendwie lässt der Gedanke nicht los: Ist es wirklich gut genug?
Ich gebe eine Caption ein und überlege. Nach einem kurzen Blick in meinen Notizordner für Ideen, entscheide ich mich für eine Kombination aus einem Zitat und ein paar persönlichen Gedanken. Mit oder ohne Emoji? – Ohne. Es muss perfekt sein, denke ich mir. Eine gute Balance zwischen cool und witzig, aber trotzdem tiefgründig. Man soll ja wissen, dass ich nicht nur schöne Bilder poste, sondern auch etwas zu sagen habe.
Bevor ich überlege, auf ‘Teilen’ zu drücken, überprüfe ich noch einmal das Lied – neu und cool, mag jeder. Während ich all das tue, frage ich mich unbewusst: Wen versuche ich eigentlich zu beeindrucken? Warum ist es mir so wichtig, dass dieses Bild viele Likes bekommt? Sind es meine FreundInnen, die ich erreichen will, oder geht es nur darum, mein Ego zu befriedigen und mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
Ein letzter Blick auf das Bild, die Unterschrift und die Markierungen. Tief durchatmen. Ich drücke auf ‘Teilen’ und sehe zu, wie das Bild hochgeladen wird, während mein Herz einen Sprung macht und ich mein Handy auf das Bett werfe. Es dauert nicht lange, bis mein Bildschirm aufleuchtet und die Benachrichtigungen eintreffen.
Aber anstatt Erleichterung zu fühlen, spüre ich sofort den nächsten Druck. Was, wenn ich nicht so viele Likes bekomme, es den Leuten nicht gefällt und sie mir entfolgen? Der Gedanke nagt an mir, und ich merke, dass ich mich schon wieder frage, wann ich endlich die 500 Follower erreiche. Irgendwo tief in mir weiß ich, dass diese ganzen FollowerInnen, Likes und Kommentare nur flüchtig sind, weil eigentlich echte Werte, wie Freundschaft, zählen. Mir wird erst jetzt bewusst, wie sehr ich meine einzigen beiden FreundInnen vernachlässigt habe. Vielleicht sollte ich ihnen wieder schreiben. In letzter Zeit sehen wir uns nicht sehr oft. Ich vermisse sie sehr. Doch der Gedanke verschwimmt, während sich die ersten Likes auf den Weg machen.
Denn für jetzt – für diesen Moment – warte ich ab und hoffe auf Benachrichtigungen, die mir das Gefühl geben, gesehen und geschätzt zu werden, auch wenn es nur für einen kurzen Augenblick ist.
Eine Fassade der Perfektion
Hinter den makellosen Inszenierungen in den Sozialen Medien mit hunderten von FollowerInnen und einem perfekt zusammengestellten Instagram-Feed, versteckt sich oft eine Realität, die von Einsamkeit und dem Fehlen echter Beziehungen geprägt ist. Es ist nicht ungewöhnlich, dass wir mehr FollowerInnen als echte FreundInnen im realen Leben haben. So eine Entwicklung macht deutlich, wie komplex unsere online-aufgebauten Beziehungen sind, und wie stark sie von dem Druck, ein ideales Leben präsentieren zu müssen, geprägt werden.
482 Follower mögen beeindruckend erscheinen, aber sind es wirklich unsere FollowerInnen, die uns durch Dick und Dünn begleiten? In einer Welt, in der das Streben nach digitalen Bestätigungen zur Norm geworden ist, verlieren wir oft den Blick für das Wesentliche. Echte Freundschaften, tiefe Gespräche und gemeinsame Erlebnisse lassen sich nicht in Likes und Kommentaren messen. Diese Diskrepanz zwischen digitaler Anerkennung und echter Unterstützung wirft die Frage auf: Warum fühlen wir uns so oft unter Druck gesetzt, perfekt zu erscheinen, wenn doch die wahren Werte im Leben ganz woanders liegen?
Der Druck zur Perfektion und die Rolle der sozialen Medien
„Nein, warte, lass mich noch ein Foto machen, nur noch eins. Das Licht hier ist einfach perfekt.“ „Komm schon, du machst seit zehn Minuten Fotos, wir wollen endlich essen.“ – Wir hatten doch alle mindestens eine Situation, in der wir genau dieses Gespräch führen mussten, egal auf welcher Seite wir standen. Aber warum? Warum müssen wir immer das perfekte Bild machen? Warum fühlen wir ständig diesen Druck, immer perfekt zu sein? Warum machen wir das und wen versuchen wir damit zu beeindrucken?
Ein Teil dieses Problems ist auf die Strukturen und Mechanismen der sozialen Medien zurückzuführen. Die Funktionsweise von Instagram mit sichtbaren Zahlen von Likes, Kommentaren und FollowerInnen fungiert als öffentliches Maß für Beliebtheit und Erfolg auf der Plattform. NutzerInnen vergleichen diese Zahlen oft miteinander. Eine Verführung zur kontinuierlichen Suche nach Perfektion, welche langsam, aber sicher zur Norm wird. Zusätzlich streben Menschen danach, sich in einem positiven Licht zu präsentieren. Es ist der Versuch, andere dazu zu bringen, einen so zu sehen, wie er gesehen werden möchte.
Man hat einen Wunsch nach Kontrolle über die Wirkung, die man auf das Fremdbild anderer Menschen hat. Das Prinzip der Selbstdarstellung wird somit primär genutzt, um in der Gesellschaft Anerkennung und Aufmerksamkeit zu erhalten. Sie beginnt bereits bei der Erstellung eines eigenen Profils auf einer Plattform. NutzerInnen schaffen ein Bild von sich selbst, welches der Realität oft nicht entspricht. Dieses Bild erschließt sich aus vielen Aspekten.
Eines dieser Aspekte sind zum Beispiel Highlights auf Instagram. Sie ermöglichen NutzerInnen, mehrere Stories langfristig zugänglich zu machen. Einige NutzerInnen kategorisieren ihre Highlights in der Beschreibung nach Themen oder besonderen Ereignissen. Somit entsteht eine dauerhafte Methode, um Inhalte über die eintägige Lebensdauer herkömmlicher Stories hinaus zu präsentieren.
Zu einer optimalen Profilgestaltung gehören jedoch nicht nur das Profilbild, die Biografie und die passenden Highlights, sondern auch ein Avatar, welchen man einem Selbst anpassen kann. Der Avatar ist eine grafische Darstellung von einem selbst und meistens das Erste, was andere sehen, wenn sie auf ein Profil stoßen.
Eine Studie der Universität Köln kam dem nach, dass die Erstellung eines Avatars immer mehr Genauigkeit und Zeit in Kauf nimmt, um sich so gut wie möglich zu präsentieren. „Daher scheinen die physischen und demografischen Merkmale des Avatars im Allgemeinen auf den Eigenschaften des tatsächlichen Selbst zu basieren, mit einigen Verbesserungen […] [und] eine[r] idealisierte[n] Darstellung der Persönlichkeitsmerkmale […]“.
Es entsteht die Möglichkeit, ein perfektes Spiel aus der Kombination der Elemente zur Profilerstellung zu kreieren und seine Online-Präsenz optimal zu perfektionieren. Diese stilvolle, aber auch attraktiv präsentierte Darstellung eines Profils kann und soll positive Reaktionen hervorrufen. Auch, wenn diese Rückmeldung das Selbstvertrauen stärken, das allgemeine Wohlbefinden erhöhen und stärkere Bindungen zwischen NutzerInnen schaffen kann, ist es wichtig zu wissen, dass die Erstellung einer sogenannten virtuellen Identität auch Herausforderungen mit sich bringen kann, insbesondere wenn der Fokus zu stark auf Anerkennung und Bestätigung liegt.
Der perfekte Ausweg?
Um jedoch dieser Angst und dem Druck nachzukommen, greifen einige auf verschiedene Maßnahmen zu. Ein Beispiel für die Verdeutlichung dieser Dynamik ist „Like for Like“ („#L4L“) und „Follower for Follower“ („#F4F“). Diese Hashtags fordern NutzerInnen auf, Beiträge anderer zu liken oder ihnen zu folgen, um im Gegenzug ebenfalls Likes und FollowerInnen zu erhalten. Es findet eine Art von Austausch statt, der garantiert zu positivem Feedback führt und gleichzeitig die Reichweite erhöht. Doch dieser Austausch kann auch eine Spirale von ständigem Druck erzeugen. Die Jagd, mehr Anerkennung zu erhalten für das Wachstum der Reichweite von FollowerInnen, ohne die Relevanz in den sozialen Medien zu verlieren. Es geschieht schnell, dass man sich in einer oberflächlichen Welt verliert, in der Zahlen wichtiger erscheinen als echte Verbindungen.
482 vs. 2, eine Mediatisierung der Freundschaft?
Das perfekte Essen mit dem perfekten Outfit und den perfekten FreundInnen– es scheint, als würde ständig eine Show abgeliefert werden müssen. Nur ist es dann so, dass einzig und allein die Person hinter dem Bildschirm weiß, dass es in Wirklichkeit dem nicht entspricht. Hinter den Fassaden der Perfektion verbirgt sich offline oft nicht das, was online so stolz präsentiert wird. Freundschaften, die überwiegend online gepflegt werden, führen nicht zu engeren und qualitativ hochwertigeren Freundschaften. Eine Studie der Southern Oregon University konnte beweisen, dass überwiegende Online-Kommunikation durch fehlende körperliche Nähe und den damit ausbleibenden hormonellen Prozessen zu einem subjektiven Einsamkeitsempfinden führt, da diese Form des Kontakts als weniger erfüllend wahrgenommen wird. Ein Verdrängen von Offline-Kommunikation kann als Gefahr für die mentale Gesundheit gesehen werden und damit möglicherweise auch als Verringerung der eigenen sozialen Kompetenz, was den persönlichen Offline-Kontakt zu anderen Menschen in weiterer Folge noch schwieriger gestaltet.
Was jetzt?
Doch um diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist es wichtig, sich selbst daran zu erinnern, warum man überhaupt auf sozialen Medien aktiv ist. Geht es darum, echte Erinnerungen und Erfahrungen zu teilen, oder nur darum, Anerkennung von anderen zu bekommen? Im Moment zu leben, sich auf echte FreundInnen zu konzentrieren, kann helfen, den Druck zu reduzieren. Echte Beziehungen erfordern Zeit und Aufmerksamkeit. Sie basieren auf Vertrauen, gemeinsamen Erlebnissen und tiefen Gesprächen. – Dinge, die Likes und FollowerInnen niemals ersetzen können. Soziale Medien wurden geschaffen, um Verbindungen zu stärken, nicht um sich selbst ständig zu beweisen. Es ist möglich, eine gesunde Balance zu finden, bei der soziale Medien ein Hilfsmittel zur Verbindung und Inspiration sind, ohne dass sie unser Selbstwertgefühl bestimmen. Authentizität bedeutet, uns so zu zeigen, wie wir wirklich sind, ohne den Druck, perfekt erscheinen zu müssen. Vielleicht ist es an der Zeit, weniger Energie in die Jagd nach flüchtiger Anerkennung zu investieren und mehr in die Bewahrung der echten Freundschaften, die uns wirklich bereichern. Denn am Ende des Tages sind es nicht die 482 Follower, die uns in schwierigen Zeiten zur Seite stehen, sondern die zwei wahren FreundInnen, die uns wirklich kennen und unterstützen.