Stell dir vor, es brennt – und niemand kommt. Ein Unfall auf der Landstraße und keine helfende Hand ist in Sicht. Ein Weihnachtsmarkt im Dorf – abgesagt, weil niemand Zeit hat, ihn zu organisieren. In Deutschland üben rund 29 Millionen Menschen eine freiwillige Tätigkeit aus, was etwa 40 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren entspricht. Es gibt sogar einen internationalen Tag des Ehrenamtes am 5. Dezember.
Was wäre eine Gesellschaft ohne das Ehrenamt? Diese Frage haben wir uns gestellt und haben dort hingeschaut, wo es ohne Freiwillige so gut wie keinen Zusammenhalt geben würde – auf dem Dorf. In Städten gibt es professionelle Strukturen: Berufsfeuerwehren, hauptamtliche Sozialarbeiter, kulturelle Institutionen mit bezahltem Personal. Auf dem Land sieht das anders aus: Dort sind es Menschen die ihre Freizeit nutzen, um das Leben in der Gemeinschaft möglich zu machen.
So auch in der kleinen Gemeinde Schladen-Werla. Hier, im Herzen von Niedersachsen, zeigt sich wie wichtig freiwilliges Engagement für den Zusammenhalt ist. Wir haben drei EhrenämtlerInnen aus Schladen begleitet und durften hinter die Fassaden gucken, was ihre Arbeit für die Gemeinde bedeutet, und was sie als Person bewegt.
Eine von ihnen ist Melissa Domke, die sich mit Leidenschaft und Teamgeist in der Freiwilligen Ortsfeuerwehr Schladen engagiert. „Das Amt gibt mir einfach Freude. Nicht nur Freude, auch Freunde. Wir sind hier wie eine große Familie“, sagt sie. Ihre Geschichte steht exemplarisch für ein beeindruckendes Engagement in ganz Deutschland: Knapp 1,4 Millionen Menschen sind hierzulande ehrenamtlich bei den Feuerwehren aktiv – das sind rund 95 Prozent aller Feuerwehrleute. Auch in der Gemeinde Schladen-Werla ist das Ehrenamt stark vertreten: Insgesamt gibt es sieben Freiwillige Ortsfeuerwehren.
„Das Amt gibt mir einfach Freude. Nicht nur Freude, auch Freunde. Wir sind hier wie eine große Familie.“
– Melissa Domke
Ehrenamt ist vielfältig. Nach dem Blick auf die Freiwillige Feuerwehr zeigt sich das eindrucksvoll auch in anderen Bereichen zum Beispiel im sozialen und kirchlichen Engagement. Neben dem Feuerwehrverband gibt es zahlreiche weitere Initiativen, die auf das Engagement von Ehrenamtlichen angewiesen sind. Eine davon ist der Kolping Verband – eine international tätige, katholische Bewegung, die auf den Priester und Sozialreformer Adolph Kolping zurückgeht. Im Kolpingwerk Deutschland engagieren sich etwa 25.000 Mitglieder ehrenamtlich in den Vorständen der örtlichen Kolpingsfamilien sowie auf überörtlichen Ebenen. Dieses Engagement zeigt sich in Schladen auf einer ganz besonderen und einzigartigen Ebene – und zwar mit einem Kolping-Laden. Der Laden mit dem Motto „Mode trifft auf Nachhaltigkeit“ ist ein gemeinnütziges Projekt, welches durch Hans-Peter Koch ins Leben gerufen wurde. Seine Frau Gabriele Koch ist ebenso mit viel Herzblut dabei und schenkt dem Projekt Leben.
„Ich glaube, wir sind alle gemeinsam gleich wichtig hier, das ist einfach so.“
–Gabriele Koch
„Der Laden ist aus der Gemeinde nicht mehr wegzudenken“, erzählt uns eine Kundin, die durch die Klamotten stöbert. „Es ist eine großartige lokale Möglichkeit preiswerte Kleidung zu kaufen. Man kann mit einem guten Gewissen hier einkaufen gehen, da man weiß, es ist nachhaltig und man tut gleichzeitig durch den Erwerb etwas für den guten Zweck“, ergänzt sie. Frau Koch erzählt zudem, dass der Laden viele KundInnen hat, die für einen Besuch extra einen Halt in Schladen machen. Mit Leidenschaft dekoriert sie wöchentlich um und begeistert dadurch die SchladenerInnen, wenn diese mal wieder rätseln, welche Farbe wohl diese Woche im Schaufenster dekoriert ist, so Koch.
Dieses ehrenamtliche Engagement ist kein Einzelfall – besonders im kirchlichen Kontext ist der Anteil freiwillig-Engagierter hoch: Laut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz sind über eine Million Menschen in der Kirche ehrenamtlich tätig.

Genau so wenig weg zu denken ist wohl das Fußballspielen für die Kinder und Jugendlichen auf dem Dorf. In Deutschland gibt es rund 24.000 Fußballvereine, die im Deutschen Fußball-Bund (DFB) organisiert sind. Ehrenamtliches Engagement spielt in diesen Vereinen eine zentrale Rolle. Schätzungen zufolge sind etwa 1,5 Millionen Menschen ehrenamtlich in den Amateurvereinen tätig. Ohne dieses ehrenamtliche Engagement wäre der Spielbetrieb und das Vereinsleben in dieser Form nicht aufrechtzuerhalten.
Ein Beispiel für dieses Engagement ist der SV Schladen, den es bereits seit 1918 gibt. Aktuell zählt der Verein 13 aktive freiwillige Jugendtrainer, die ihre Zeit in das Vereinsleben investieren. Einer von ihnen ist der Ex-Bundeswehrsoldat Lasse Hinkeldey, welcher seit über einem Jahr die kleinsten Ballspieler des SV Schladen betreut und sich auch ein längerfristiges Engagement in den höheren Jugend-Klassen zutraut. Er steht sinnbildlich für die freiwillige Leistung als Trainer und was ihm bei der Arbeit mit den Kindern am meisten gefällt.
„Wenn man dann das Feedback bekommt, vom Verein, von den Eltern, man sieht, dass die Kinder Spaß haben. Das ist die größte Motivation.“
–Lasse Hinkeldey
Das Beispiel Fußball steht dabei exemplarisch für den gesamten Breitensport. Insgesamt engagieren sich rund sieben Millionen Menschen ehrenamtlich in Sportvereinen in Deutschland. Die folgende Grafik zeigt, in welchen Bereichen dieses Engagement am häufigsten stattfindet.

Der SV Schladen besteht aber nicht nur aus einer Jugend, sondern stellt verschiedenste Mannschaften mit insgesamt 110 Kindern und Jugendlichen auf unterschiedlichste Jugenden verteilt. Thomas Meyer, Abteilungsleiter für den Fußball im Herrenbereich hat eine klare Meinung zum Ehrenamt im Verein: „Der Verein wäre tot, es würde hier nichts, gar nichts mehr gehen. Absolut nichts mehr.“ Er betont die Wichtigkeit des Ehrenamtes für diesen Verein, denn schon die „kleinsten Aufgaben kosteten Geld“ und dies würde einen dörflichen Verein wie den SV Schladen stark belasten und daher sei es wichtig, dass möglichst vielen Menschen im Dorf etwas im Verein geboten wird, um die Mitgliederzahl weiterhin moderat zu halten, so Thomas Meyer.
Darüber hinaus sind nicht nur Vereine in der Gemeinde Schladen-Werla ehrenamtlich geleitet, sondern auch Großteile der Politik finden auf ehrenamtlicher Basis statt. Julian Märtens, der Stellvertretende Bürgermeister der Gemeinde berichtet, wie viel Einfluss Ehrenamt für das gemeinschaftliche Leben im Dorf hat. Der hauptberufliche Lehrer ist dabei selbst nur ehrenamtlicher Mitarbeiter und hat daher auch schon eigene Erfahrungen mit dem Ehrenamt sammeln können. Es ist fast unmöglich in einer Ortsteil wie Schladen nicht in Kontakt mit dem Ehrenamt zu kommen und diese These bestätigt Julian Märtens.
„Ich glaube, Ehrenamt nimmt nicht ab, Ehrenamt verändert sich.”
–Julian Märtens
Die Begleitung der drei EhrenämtlerInnen zeigt uns: Ohne das Ehrenamt wäre unsere Gesellschaft kaum denkbar. Ehrenamtliches Engagement ist weit mehr als freiwillige Hilfe; es ist ein unverzichtbarer Pfeiler, der unsere Gemeinschaft zusammenhält und nachhaltig stärkt. Egal ob in kleinen Gemeinden wie Schladen-Werla oder auf globaler Ebene, es ermöglicht Projekte und Strukturen, die sonst nicht realisierbar wären.
Die Geschichten der EhrenämtlerInnen zeigen, wie wichtig ihre Arbeit für das soziale Miteinander ist, sei es im Fußballverein, im Kolping-Laden oder bei der Feuerwehr. Sie beweisen, dass der Einsatz jedes Einzelnen unsere Gesellschaft menschlicher und lebenswerter macht. Ehrenamt ist nicht nur ein Beitrag für andere, sondern auch eine Bereicherung für diejenigen, die sich engagieren. Wir können alle dankbar sein, dass Menschen wie Melissa, Gabriele, Lasse und Julian uns ihre Zeit schenken.
Titelbild: Traditioneller Ortswappensbaum, Foto von Lena-Eylem Bozdogan