„Wir waren völlig überfüllt. Wir konnten einfach keine Tiere mehr irgendwo rein setzen“ sagt Jennifer Semmler, die stellvertretende Tierheimleiterin des Tierheims in Peine, wenn sie an die vergangenen Jahre der Corona-Pandemie denkt. Doch wie kam es zu dieser Ausnahmesituation?
Laut dem Deutschen Tierschutzbund sei die Nachfrage nach Tieren während der Pandemie stark angestiegen. Viele Tiere seien als „Corona-Projekt“ auf begrenze Zeit angeschafft worden. Oft zog es die Menschen während der Pandemie auf der Suche nach einem Tier beispielsweise zum Züchter, auf Internetsuche in den Zoohandel oder ins Tierheim. Zu Beginn der Pandemie konnte auch das Tierheim-Team in Peine beobachten, wie sich die Anfragen nach Tieren häuften. Um sicherzustellen, dass die Interessierten nicht auf der Suche nach „Corona-Projekten“ waren, stellte das Tierheim-Team vor jeder Vermittlung viele Fragen an die potenziellen neuen BesitzerInnen beispielsweise über den Grund des Adoptionswunsches. Hierbei sei Jennifer Semmler vermehrt aufgefallen, dass der Faktor der neu gewonnenen Zeit häufig als Grund für die angestrebte Adoption genannt wurde. Wie es allerdings mit den Tieren weitergehen sollte, wenn die Zeiten von Home-Office und Kurzarbeit wieder vorbei wären, konnte dagegen seltener ausführlich beantwortet werden.
Das gestiegene Interesse an Tieren belegen auch die Zahlen der Tierschutzorganisation TASSO. Sie führt das größte kostenlose Haustierregister Europas und hat einen auffälligen Anstieg an Neuregistrierungen von Hunden verzeichnet. So wurden etwa im Juni 2019 nur 31.400 Hunde registriert. Im Juni 2020, mitten in der ersten Welle der Pandemie, waren es bereits 39.000 neu registrierte Hunde.
Jennifer Semmler sei auch aufgefallen, dass zu Beginn der Pandemie immer mehr uninformierte Adoptionsinteressierte ins Tierheim Peine kamen und so schnell wie möglich ein Tier adoptieren wollten. Wo diese „Corona-Projekte“ zum Ende der Pandemie vermehrt angekommen sind, sieht man mittlerweile in den deutschen Tierheimen. Die Tierheime waren nach Aussagen des Deutschen Tierschutzbundes bereits vor der Corona-Pandemie oft am Limit – egal ob platztechnisch, finanziell oder personell. Die unüberlegt angeschafften „Corona-Tiere“ würden die ohnehin schon schwere Situation in den Tierheimen nur noch verschlimmern, befürchtet der Deutsche Tierschutzbund.
Diese Befürchtung bestätigte sich im späteren Verlauf der Pandemie. Die Tierheime füllten sich immer weiter. Sie halfen sich gegenseitig aus und teilten die „Corona-Tiere“ untereinander auf. Deshalb nahm das Tierheim in Peine beispielsweise Tauben, Wellensittiche und auch Hunde aus dem Tierheim Berlin, dem größten Tierheim Europas, auf. Auch dieses war überfüllt, obwohl es Platz für rund 1.300 Tiere hat.
Die nahende Welle an Corona-Tieren sei schon kurz vorher für die Mitarbeitenden zu befürchten gewesen, berichtet die stellvertretende Tierheimleiterin. Doch trotz mehrfach verhängter Aufnahmestopps füllten sich die Tiergehege im Tierheim Peine während der kurzen Öffnungszeiten zum Ende der Pandemie hin rasant. Das stellte die 15 Mitarbeitenden sowie die freiwilligen HelferInnen vor große Herausforderungen.
Hunde gehörten ebenfalls zu den „Opfern“ der Pandemie und wurden im Tierheim Peine abgegeben. Es waren so viele, dass die Hundezwinger randvoll waren. Teilweise mussten Hunde während der Pandemie aneinander gewöhnt werden, um sich einen Zwinger miteinander teilen zu können. Aber das sei keine langfristige Lösung gewesen und habe die Hunde noch zusätzlich gestresst, erzählt Jennifer Semmler.
Bei der Vermittlung von Hunden müssen viele Kriterien bei Hund und zukünftiger Halterin oder zukünftigem Halter berücksichtigt werden. Aber egal, ob Welpe oder älterer Hund, „Hauptsache es passt“, berichtet Jennifer Semmler. Gerade bei Hunden sei es während der Corona-Pandemie häufig vorgekommen, dass die mögliche Haltung nach der Pandemie selten durchdacht war, erzählt Jennifer Semmler.
Umso trauriger sei es dann für die stellvertretende Tierheimleiterin, wenn Tiere, die vermutlich als Corona-Projekte angeschafft wurden, im Laufe der Pandemie im Tierheim abgegeben wurden. Besonders dann, wenn die Besitzerin oder der Besitzer das Tier lapidar und ohne Emotionen abgab oder gar aussetzte.
Auch die Anzahl an verhaltensauffälligen und unerzogenen Hunden im Tierheim Peine sei während der Pandemie angestiegen. So erinnert sich Jennifer Semmler beispielsweise noch gut an einen „typischen Corona-Hund“, der während der Pandemie ins Tierheim Peine kam. Er sei wegen seines Aussehens angeschafft worden und die Besitzer seien nach kurzer Zeit mit ihm überfordert gewesen. Das Tierheim-Team fand auch heraus, dass der Hund während seiner letzten Zeit bei seinen Besitzern nur noch im Keller gehalten wurde, weil die Besitzer Angst vor ihm hatten. Auch im Tierheim habe dieser Hund ein derart aggressives Verhalten gezeigt, dass das Tierheim-Team ihn in eine Pflegestelle geben musste. Dort wird er jetzt von erfahrenen HundetrainerInnen trainiert und macht große Fortschritte, weiß Jennifer Semmler. Diese Schicksale sind im Tierheim kein Einzelfall. „Da hatten wir so einige, die etwas schwieriger waren. So viele waren das früher nicht“, erinnert sie sich.
Ein anderes „Corona-Opfer“ ist vermutlich der ungefähr sieben Jahre alte Husky-Schäferhund-Mix Krümel. Er wurde während der Pandemie vor dem Tierheim in Peine ausgesetzt und von den Mitarbeitenden gefunden.
Das ist seine Geschichte:
Durch den Anstieg an Tieren und somit auch den Kosten haben viele Tierheime in Deutschland finanzielle Probleme. Laut dem Deutschen Tierschutzbund droht ungefähr jedem vierten Tierheim in Deutschland deshalb das Aus. Die Kosten im Tierheim Peine belaufen sich auf ca. 280.000 Euro im Jahr. Dieser Betrag deckt jedoch kaum die anfallenden Kosten ab und schwankt zudem sehr, auch wegen der momentan steigenden Preise auf beispielsweise Tierfutter, Zubehör oder die Versorgung beim Tierarzt.
Das Tierheim Peine hat viele verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten: Unter anderem werden über Mitgliederbeiträge, Spenden, Sammeldosen und Erbschaften Gelder generiert. Das seien die hauptsächlichen Einnahmequellen des Tierheimes, erklärt Jennifer Semmler. Ein weiterer Weg, um Geld einzunehmen sind laut Jennifer Semmler die Aufnahme -und Abgabegebühren, die das Tierheim für die Tiere erhebt. „Das deckt allerdings nicht ansatzweise die Kosten, die wir für die Tiere selbst haben“, fügt die stellvertretende Tierheimleiterin hinzu.
Auch wer selbst im Tierheim helfen will, kann viel tun. Zum einen kann man ehrenamtlich mit den Hunden Gassi gehen oder sich mit den Katzen beschäftigen. Auch bei den Reinigungsarbeiten kann man sich engagieren. Es gibt auch eine Tiertafel im Tierheim, bei der sich bedürftige Menschen einmal im Monat Futter für ihre Tiere abholen können. Auch dabei wird noch Hilfe benötigt. „Es fällt immer sehr viel Arbeit an“, so Jennifer Semmler.
Wer sich ein Tier anschaffen möchte, sollte vorab überlegen, ob nicht ein Tier aus dem Tierheim eine Option ist. Jedes Jahr werden circa zwei Millionen Hunde und etwas mehr als zwei Millionen Katzen aus den deutschen Tierheimen adoptiert. Die Gründe dafür, ein Tier aus dem Tierheim zu adoptieren, können sehr vielfältig sein. Im folgenden Beitrag kann man einige davon hören.