Emily ist mit ihrer Freundesgruppe unterwegs zum Christopher Street Day, ein Feier- und Demonstrationstag für die LGBTQ-Community. Die Gruppe besteht aus Emily, ihrem Freund Max, Veronica und ihrer Freundin Malina und drei weiteren Freunden. Sie hat sich schon wochenlang auf diesen Tag gefreut, denn heute kann sie endlich mit ihren Freunden ihre Sexualität feiern. Doch kaum dort angekommen, wird sie von mehreren Teilnehmern der Parade angesprochen. Einige sagen in etwa: „Ich finde das richtig cool, dass du und dein Freund als Unterstützer hier seid.“ Andere wiederum wirken sehr sauer sagen, dass Heterosexuelle dort nichts zu suchen haben. Sie sollen der LGBTQ-Community doch zumindest diesen einen Tag mal lassen.
Das verwirrt Emily sehr, denn sie ist nicht als Unterstützerin hier. Sie ist selbst Teil der LGBTQ-Community. Sie ist bisexuell. Sie wird für eine heterosexuelle Frau gehalten, weil sie mit ihrem Freund dort ist. Deswegen korrigiert sie die Leute jetzt einfach, wenn sie angesprochen wird. Doch als sie das macht, bekommt sie nur schräge Blicke zugeworfen oder ein ironisches „Ja genau“. Die Leute glauben ihr nicht, dass sie auch auf Frauen steht. Als sie ihre Freundin Veronica, die mit ihr da ist, fragt, sagt diese nur: Naja, viele Leute nennen sich bisexuell und testen sich eigentlich nur aus oder wollen „eine lesbische Erfahrung“ von ihrer Bucket-Liste streichen. Die wollen sich halt als etwas Besonderes fühlen“. Von anderen Menschen aus der queeren Community wurde Emily dabei ihre Sexualität einfach abgesprochen. Obwohl die meisten Menschen der Auffassung sind, dass die LGBTQ-Community eine Art „safe space“ für queere Menschen sein soll, ist das manchmal nicht der Fall. Bisexuellen Menschen wird oftmals ihre Sexualität abgesprochen. Sie werden dargestellt, als würden sie sich nur ausprobieren und nicht zugeben wollen, dass sie in Wirklichkeit nicht bisexuell, sondern lesbisch beziehungsweise schwul sind. Viele bisexuelle Menschen bringt dies dazu, selbst an ihrer eigenen Sexualität zu zweifeln.
Bereits beim Onlinedating ist Emily aufgefallen, dass viele lesbische Frauen keine bisexuellen Frauen daten wollen. Nachdem sich Emily von ihrer Ex-Freundin getrennt hat, hat sie Tinder ausprobiert und sowohl nach Frauen als auch nach Männern geschaut. Doch viele lesbische Frauen haben direkt in ihrer Biografie angegeben, dass sie nur lesbische Frauen und keine bisexuellen Frauen daten. Aber wie soll es bisexuellen Frauen denn dann möglich sein, andere Frauen kennenzulernen?
Emily wurden schon oft dumme Sprüche an den Kopf geworfen. Immer und immer wieder wurde ihre Sexualität sexualisiert. „Wenn Leute mitbekommen haben, dass ich bisexuell bin, wurde immer gleich darauf geschlossen, dass ich einen Dreier haben möchte. Ich denke das ist mitunter das häufigste Vorurteil. Aber nur weil ich sowohl auf Frauen als auch auf Männer stehe, heißt das nicht, dass ich das auch gleichzeitig tue.“
Ähnliches ist auch Sophia passiert. Sophia ist 24 Jahre alt und ebenfalls bisexuell. Sie hatte das Gefühl, dass ihr ihre Bisexualität abgesprochen worden ist und sie nicht ernst genommen wurde, wenn Leute mitbekommen haben, dass sie in einer Beziehung mit einem Mann ist. Aus diesem Grund hat sie versucht, bei Gelegenheit immer zu erwähnen, dass sie mal mit einer Frau in einer Beziehung war und auch schon mehrere Erfahrungen mit Frauen gemacht hat. Zumindest dann wurde ihre Sexualität ernster genommen und ihre Sexualität nicht von vorneherein abgesprochen oder heruntergespielt.
Doch dies ist nicht die einzige Erfahrung, die Sophia im Hinblick auf Diskriminierung machen musste. Während des ersten Semesters ihres Medizinstudiums war sie in einer Vorklinikgruppe mit fünf anderen Kommilitoninnen. Als diese herausfanden, dass Sophia mit einer Kommilitonin von ihnen geschlafen hat und eben auch auf Frauen steht, durfte Sophia keinen von ihnen mehr zur Übung körperlich untersuchen. Sie wollten weder von Sophia berührt werden, noch sie selbst berühren. Und das alles nur, weil sie befürchteten, dass Sophia mit ihnen schlafen wollen würde. Da diese praktischen körperlichen Untersuchungen einem sehr viel beibringen können, war das ein schwerer Schlag für Sophia. Sie musste jetzt ohne diese praktischen Übungen durch ihr Studium kommen.
Sophia und ihre Ex-Freundin wurden auf der Straße auch schon einmal von fremden Menschen mit Glasflaschen beworfen, weil sie Händchen gehalten haben. „Plötzlich kam diese Flasche auf uns zugeflogen und diese Leute schrien, dass wir Homos sterben sollten. Wir haben uns schnell geduckt und sind dann so schnell wie möglich weggelaufen. Solche Ereignisse führten dazu, dass ich mich nicht mehr getraut habe, meine Freundin auf der Straße zu küssen oder ihre Hand zu nehmen. Ich hatte ständig Angst, dass mir so etwas nochmal passieren könnte“, erzählt Sophia über dieses traumatische Erlebnis.
Diskriminierung ist oft ein tagtägliches Erlebnis für bisexuelle Menschen. Sie werden beleidigt und physisch angegriffen. Doch besonders erschreckend ist, dass das auch von anderen queeren Menschen kommt. Leute, die genau wissen, wie es ist, diskriminiert zu werden. Eigentlich sollte die LGBTQ-Community ein sicherer Platz für queere Menschen sein. Ein Ort unter Gleichgesinnten, die vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Doch ein paar Menschen in der LGBTQ Community behandeln bisexuelle Personen, als wären sie gar nicht wirklich queer. Sie meinen bisexuelle Menschen würden nur so tun, als ob sie bisexuell sind. Aber wieso sollte man das tun? Sexualität ist kein Trend und niemand möchte freiwillig die Diskriminierung durchmachen, die queere Menschen durchmachen müssen. Natürlich ist es nur eine kleine Minderheit an queeren Menschen, die bisexuelle Personen diskriminieren, doch auch diese Minderheit sollte nicht existieren.