Wie bitte? – Schwerhörigkeit im Alltag

Hören ist für die soziale Interaktionen besonders wichtig. Augenrollen, erhobene Stimmen und Missverständnisse prägen den Alltag von schwerhörigen Menschen.

Schätzungsweise 16 Millionen Menschen in Deutschland leiden aktuell unter einer Schwerhörigkeit. Es entwickle sich mehr und mehr zu einer Volkskrankheit, so Sonja Fröhlich, Redakteurin für Wissenschaft und Gesundheit im Focus. Wie das Hören mit einem gesunden Ohr normalerweise funktioniert, erklärt die Hörakustikerin Insa Lüders: 

 

Bei diesem komplexen Ablauf kann es zu Störungen kommen. Für einen Hörschaden gibt es verschiedene Ursachen. Diese lassen sich in zwei Hauptkategorien einordnen. Zum einen gibt es die häufig auftretende Innenohr-Schwerhörigkeit. Darunter fallen beispielsweise erbliche Faktoren oder ein so genannter Hörsturz. Ein Hörsturz, auch Ohrinfarkt genannt, ist ein plötzlich auftretender einseitiger Hörverlust ohne eine erkennbare Ursache. Betroffene beschreiben den Infarkt als ein dumpfes Gefühl. Allerdings kann die Schwerhörigkeit auch als Folge von wiederholten Entzündungen auftreten.  
Zum anderen gibt es die seltenere Mittelohr-Schwerhörigkeit. Diese wird beispielsweise durch einen Tumor des Mittelohrs, Schäden des Trommelfells oder einer Verknöcherung der Gelenke im Ohr ausgelöst.  
Die häufigste Schwerhörigkeit in Deutschland ist die Presbyakusis. Im Volksmund nennt sie sich Altersschwerhörigkeit. Ab dem 50. Lebensjahr nimmt die natürliche Leistungsfähigkeit des Gehöres ab. Sie zählt also nicht zum krankheitsbedingten Hörverlust.

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Allgemein steigt die Anzahl der Hörgeschädigten mit dem Alter. Das ist dem natürlichen Alterungsprozess geschuldet, da sich die zum Hören notwendigen Haarsinneszellen mit den Jahren abnutzen.  
Trotz gleichbleibendem Anteil Schwerhöriger zeigt Hörakustikerin Insa Lüders auf, dass die Zahl der Hörgeräte-Tragenden im gleichen Zeitraum angestiegen ist. Sie erklärt dieses Phänomen damit, dass die Akzeptanz von Hörgeräten in der Gesellschaft und der Wunsch sich zu optimieren steige. Teilweise äußern normalhörende Kunden den Wunsch, Hörgeräte tragen zu wollen, um ihr Hörvermögen zu steigern. Allerdings ist das nicht möglich, da in solchen Fällen oftmals noch das volle Hörvermögen vorhanden ist. Anders war es bei der 22-jährigen Anna Dräger. Sie erklärt, wie der Verlauf ihrer Diagnose war und wie sich die Schwerhörigkeit bei ihr bemerkbar gemacht hat:

Um Schwerhörigen das Leben zu vereinfachen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Hörverlust in Teilen auszugleichen. Liegt eine Schädigung des Mittelohres vor, wird in den meisten Fällen ein operativer Eingriff vorgenommen. Dabei können Tumore, Verknöcherungen oder Schäden des Trommelfels beseitigt und das Hörvermögen wieder hergestellt werden. Ist die Schwerhörigkeit auf das Innenohr zurückzuführen, besteht die Möglichkeit, Hörgeräte anzupassen oder ein Implantat einsetzen zu lassen. Das Cochlea-Implantat wird bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit eingesetzt. Dabei wird das Implantat bei einem chirurgischen Eingriff unter die Haut gesetzt und durch Elektroden mit der Hörschnecke verbunden. Der zweite Teil des Systems sitzt wie ein Hörgerät hinter dem Ohr. Dieser nimmt die Schallwellen auf und wandelt die Töne in einen digitalen Code, welcher über die Elektroden direkt in die Hörschnecke geleitet wird. 
Die am meisten genutzte Hörhilfe ist das Hörgerät. Es besteht grundsätzlich aus einem Mikrofon, einem Verstärker und einem Lautsprecher. Dabei nimmt das Mikrofon die akustischen Signale auf und leitet diese als elektrische Signale an einen Prozessor weiter. Dieser Mikroprozessor wird von HörakustikerInnen so programmiert, dass er die individuellen Hörschwächen ausgleicht. Daraufhin erreichen die umgewandelten Töne den Lautsprecher, welcher die elektrischen Impulse zurück in akustische Signale wandelt und sie in den Gehörgang weiterleitet. Dabei gibt es Geräte, die hinter dem Ohr sitzen und welche, die im Ohr sitzen. 

Anna Dräger trägt, seitdem sie 15 Jahre alt ist, Hörgeräte. Aktuell sind es welche, die hinter dem Ohr sitzen. Welche Auswirkungen die Hörgeräte auf ihren Alltag haben und wie ihr Umfeld mit ihrer Schwerhörigkeit umgeht, erzählt sie im Interview:

Das Hörvermögen eines Menschen wird in fünf Abstufungen aufgeteilt. Für die Bestimmung des Grades der Schwerhörigkeit ist neben der Lautstärke auch die Tonhöhe, also die Frequenz, von Bedeutung. Eine normalhörende Person hört einen Frequenzbereich von 20 bis 20.000  Hertz. Besonders gut reagiert das Gehör auf den Bereich von 500 bis 600 Hertz, da dies den Frequenzen der gesprochenen Sprache entspricht. Die in Dezibel gemessene Lautstärke empfindet ein Normalhörender bis ungefähr 80 Dezibel als angenehm. Ein normales Gespräch weist beispielsweise eine Lautstärke von circa 50 Dezibel auf. 
Eine Schwerhörigkeit ist jedoch individuell und wirkt sich, je nach Ursache, unterschiedlich aus.  Ist die Ursache des Hörverlustes das Innenohr, so leidet vor allem das Sprachverständnis. Hohe Töne werden nicht mehr richtig wahrgenommen. Das sind vor allem 
Konsonanten, die den größeren Teil zum Verständnis beitragen. Im Gegensatz dazu steht die Mittelohrschwerhörigkeit, bei der die Geräuschkulisse ganzheitlich leiser wird.

Um die folgenden Abstufungen eines Hörverlustes, mit Ursache im Mittelohr, realistisch  nachzuempfinden, empfiehlt es sich, die Lautstärke auf mittlerer Stufe einzustellen und  dabei zu belassen.

Normalhörende Person (100 bis 80 Prozent Hörvermögen): Eine Normalhörende Person nimmt Geräusche ab 0 beziehungsweise 20 Dezibel wahr. Das entspricht dem Ticken einer Uhr oder etwa dem Flüstern.
Geringgradige Schwerhörigkeit (80 bis 60 Prozent Hörvermögen): Bei einer geringgradigen Schwerhörigkeit ist die Hörschwelle bei 25 bis 40 Dezibel. Es können also erst Geräusche wie leichter Regen oder geringer Straßenverkehr wahrgenommen werden.
Geringgradige Schwerhörigkeit (80 bis 60 Prozent Hörvermögen): Bei einer geringgradigen Schwerhörigkeit ist die Hörschwelle bei 25 bis 40 Dezibel. Es können also erst Geräusche wie leichter Regen oder geringer Straßenverkehr wahrgenommen werden.
Hochgradige Schwerhörigkeit (40 bis 20 Prozent Hörvermögen): Eine hochgradige Schwerhörigkeit beginnt bei einem Hörverlust von 60 Dezibel. Geräusche, die leiser als ein vorbeifahrendes Motorrad sind, können nicht mehr wahrgenommen werden.
An Gehörlosigkeit grenzende Schwerhörigkeit (20 bis 5 Prozent Hörvermögen): Bei einer an Gehörlosigkeit grenzenden Schwerhörigkeit liegt die Hörschwelle bei 80 Dezibel. Ein vorbeifahrender Zug oder ein Rasenmäher kann von einer betroffenen Person nicht mehr wahrgenommen werden.

Anna Dräger leidet unter einem Hörverlust von circa 40 Prozent. Wahrnehmbar sind also erst die Geräusche, die lauter als normaler Straßenverkehr sind. Wenn sie ohne Hörgeräte unterwegs ist, fühlt sie sich unsicher. „Vor allem im Dunkeln, wenn ich nicht höre, ob jemand hinter mir ist“, sagt sie. Die Hörgeräte geben ihr Sicherheit – nicht ohne Grund spricht sie von einem Freiheitsgefühl, denn auch in Gesprächen fühlt sie sich nicht mehr unterlegen. Sie wünscht sich, dass man dem Thema offener und feinfühliger gegenübersteht. „Du brauchst mich nicht anschreien, nur ein bisschen lauter reden. Da macht der Tonfall einen großen Unterschied“, betont sie.

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