Wohnst du noch oder lebst du schon?

Ein Blick in die faszinierende Welt der Raumgestaltung, wo Farben, Formen und Materialien nicht nur ästhetische Entscheidungen sind, sondern tiefgreifende Auswirkungen auf emotionales Wohlbefinden haben. Wie beeinflusst die Gestaltung unserer Umgebung nicht nur den Raum, sondern auch die Seele?

Raumgestaltung und ihre Wirkung
Der erste Schritt in einen Raum vermittelt sofort ein Gefühl: Wärme und Geborgenheit oder Unbehagen und Distanz. Die Materialien, das Licht und die Farben spielen hier eine zentrale Rolle. Ein Raum kann uns umarmen und entspannen oder uns ablehnen und stressen. Diese subtile Psychologie des Designs lässt sich oft schwer erklären. Winston Churchill sagte: „Erst prägt der Mensch den Raum, dann prägt der Raum den Menschen.“ Dieses Zitat beschreibt das komplexe Wechselspiel zwischen Raum und Psyche treffend. Unsere Umgebung beeinflusst unser Wohlbefinden und Verhalten maßgeblich.

Architektur als Heilmittel
Die Gestaltung unserer Umgebung spielt eine entscheidende Rolle für unser körperliches und emotionales Wohlbefinden. Forschungen, wie die von Roger Ulrich, einem renommierten Architekten aus Schweden, zeigen, dass gut gestaltete Räume nicht nur ästhetisch ansprechend sind, sondern auch positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben können. Ulrich fand heraus, dass Patienten in Krankenhäusern, die in gut gestalteten Räumen untergebracht waren, weniger Medikamente benötigten, weniger gestresst waren und sich schneller erholten. Birgit Dietz, eine Lehrbeauftragte an der Fakultät für Architektur in München, unterstreicht die Bedeutung dieser Erkenntnisse: „Die Auswirkungen der Architektur sind besonders intensiv bei kranken Menschen, insbesondere bei älteren Menschen oder Menschen mit Demenz. Die räumliche Umgebung hat einen erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden, die Gesundheit und das allgemeine Wohlfühlen, insbesondere wenn die Person sich unsicher fühlt.“ Ältere Menschen und solche mit Gesundheitsproblemen sind also besonders empfindlich gegenüber ihrer Umgebung. Ulrich konnte bereits 1984 zeigen, dass ein Blick ins Grüne die Genesung nach einer Operation beschleunigen kann und ein angenehmes Umfeld in Krankenhäusern die Anfälligkeit für Infektionen verringern kann, da Stress reduziert wird.

Ein ähnliches Phänomen zeigt sich in Gefängnissen. Die grauen, steril wirkenden Wände und Räume können die psychische Gesundheit der Insassen stark beeinträchtigen. Hillary Dolk, eine Expertin auf dem Gebiet der Farbpsychologie, untersuchte die Auswirkungen der Umgebung auf die Insassen von Gefängnissen. Sie entdeckte, dass die tristen Duschräume einen besonders negativen Einfluss auf die Gefangenen hatten, die bereits von Schuldgefühlen und Isolation geplagt waren. Durch die Umgestaltung der Räume von grau zu einem warmen “pale terracotta” konnte die Stimmung der Insassen erheblich verbessert und die Suizidrate drastisch gesenkt werden.

Die Macht der Farben
In der endlosen Debatte über die perfekte Raumgestaltung im Zuhause treffen oft unterschiedliche Farbpräferenzen aufeinander. “Schatz, ich möchte eine orangefarbene Wand im Schlafzimmer”, wünscht sich die Frau, während der Mann trocken kontert: “Ach, wir sind doch nicht in der Wüste! Blau wäre viel angenehmer.” Wenn sie wüsste, dass eine blaue Wand ihr zu einem ruhigeren und erholsameren Schlaf verhelfen könnte, wäre die Diskussion wohl schnell vom Tisch. Denn tatsächlich trägt die Raumfarbe unmittelbar zur Herzfrequenz bei. Eine Untersuchung der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Tübingen hat gezeigt, dass warme Farben wie Rot oder Orange im Schlafzimmer die Herzfrequenzvariabilität signifikant beeinflussen können, indem sie das Herz etwa zehnmal häufiger pro Minute schlagen lassen im Vergleich zu kühleren Tönen wie Blau oder Grün.

In Räumen, in denen soziale Interaktion und Aktivität im Mittelpunkt stehen, können warme Farben wie Rot-, Orange- und Gelbtöne eine einladende und lebhafte Atmosphäre schaffen. Von Wandfarben über Möbel bis hin zu Dekorationen und Textilien können diese Farben verwendet werden, um eine warme und einladende Umgebung zu schaffen, die zum Verweilen und Wohlfühlen einlädt.

Doch in Schlaf- und Ruheräumen gilt eine andere Regel: Hier können kühle Farbtöne wie Blau-, Grün- und Lilatöne eine beruhigende und entspannende Atmosphäre schaffen. Diese Farben tragen dazu bei, Stress abzubauen und eine friedliche Umgebung für Entspannung und Erholung zu schaffen. Wissenschaftliche Erkenntnisse unterstützen diese Beobachtungen: „Farben haben eine unmittelbare Wirkung auf unsere Psyche und können unsere Stimmung und sogar physische Reaktionen beeinflussen“, erklärt Anna Smith, Expertin für Farbpsychologie an der Universität von Cambridge. „Es ist wichtig, die Wirkung verschiedener Farben zu verstehen und sie entsprechend der gewünschten Atmosphäre und Funktion des Raumes einzusetzen.“

Beige: Trend oder Trugschluss
In den endlosen Weiten der sozialen Medien taucht seit einiger Zeit ein Trend auf, der sich “all beige everything” nennt. Ein Trend, der die Welt in ein warmes, erdiges Licht zu tauchen scheint, von den Wänden bis hin zu den Sofakissen. Doch was bedeutet dieser Trend für unsere Seele? Ist es wirklich wohltuend, von einem Meer aus Beigetönen umgeben zu sein, oder birgt er die Gefahr, uns in einer tristen Monotonie gefangen zu halten?

Beige, du sanfte und doch kraftvolle Farbe. Du verströmst Ruhe und Geborgenheit, wie ein sanfter Sommerwind, der uns zärtlich umspielt. Deine neutralen Nuancen lassen uns träumen von weiten, sonnendurchfluteten Landschaften, von unendlicher Freiheit und unbeschwerter Leichtigkeit. Doch manchmal, oh Beige, fühlen wir uns in deiner Umarmung verloren. In einem Meer aus Erdtönen ertrinken unsere Gedanken und Sehnsüchte, während wir uns nach einem Funken Farbe sehnen, der uns aus der Tristesse erweckt.

Ein Raum, der von Beige dominiert wird, mag wohl ordentlich und aufgeräumt erscheinen. Doch unter deiner vermeintlichen Reinheit verbirgst du eine Leere, die uns unbehaglich werden lässt. Wo ist die Leidenschaft, die Kreativität, die uns zum Träumen und Gestalten anregt? Du, liebes Beige, bist ein stiller Beobachter, der sich nicht in den Vordergrund drängt, der keinen Raum lässt für die Vielfalt des Lebens. In deiner Einfachheit und Zurückhaltung erstickst du die Emotionen, die unser Herz zum Leuchten bringen.

Und dennoch, in der heutigen Zeit des Minimalismus und der Einfachheit, scheinst du perfekt in unsere Gesellschaft zu passen. Du verkörperst Natürlichkeit, Bescheidenheit und den Wunsch nach einem bewussten und nachhaltigen Lebensstil. Du bist der Inbegriff von Luxus, der nicht durch Prunk und Protz, sondern durch Schlichtheit und Reinheit definiert wird.

Doch lasst uns nicht vergessen, dass das Leben nicht nur aus Beige besteht. Wir sehnen uns nach Farbe, nach Lebendigkeit, nach Emotionen, die uns mitreißen und berühren. Um dem Trend zu entkommen, müssen wir den Mut haben, uns von der Monotonie zu lösen und unsere Räume mit Farben zu füllen, die unsere Seele zum Singen bringen. Nur so können wir dem trügerischen Trugschluss von Beige entkommen und uns wieder dem lebendigen Spektrum des Lebens öffnen.

Tipps zur Integration von Farben in dein Interior Design

  • Zweck des Raumes berücksichtigen: Überlege dir, welche Stimmung du in einem Raum erzeugen willst, und wähle die Farben entsprechend aus.
  • Farbkombinationen beachten: Probiere verschiedene Farbschemata aus, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Komplementäre oder analoge Farben können einen Raum unterschiedlich beeinflussen.
  • Natürlichen Lichteinfall beachten: Achte darauf, wie Tageslicht den Raum beeinflusst und wie die Farben darauf reagieren. Farben wirken je nach Lichteinfall anders.
  • Vorab testen: Bevor du dich für eine Farbe entscheidest, probiere sie an einer kleinen Stelle oder mit Farbmustern aus, um sicherzugehen, dass sie dir gefällt.
  • Professionelle Beratung einholen: Wenn du unsicher bist, kannst du einen Innenarchitekten oder Farbexperten um Rat bitten, um die besten Farben für dein Design zu finden.

Form follows feeling!
Die Gestaltung der Formen in unseren Wohnräumen hat einen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung und unser Wohlbefinden. Weiche, runde Formen strahlen eine beruhigende und einladende Atmosphäre aus und eignen sich daher besonders gut für Wohnbereiche oder Schlafzimmer. Harte, eckige Formen hingegen vermitteln Struktur und Klarheit, was sie für Arbeitsbereiche oder Küchen ideal macht. Die Symmetrie in der Raumgestaltung schafft Ordnung und Harmonie und ist daher perfekt für formelle Räume wie Wohn- oder Esszimmer geeignet. Philippe-Patrick Starck, der renommierte französische Designer und Architekt, betont, dass die Symmetrie in der Gestaltung ein Gefühl von Ausgeglichenheit und Ruhe schafft, was für ein harmonisches Wohnambiente entscheidend ist.

Doch wer hat schon immer Lust, ständig aufzuräumen, wenn wir durch geschickte Formen gegen die Unordnung ankämpfen können? Aber keine Sorge, auch für diejenigen, die es lieben, ihre eigene Note einzubringen, gibt es genügend Raum. Die Asymmetrie wirkt äußerst dynamisch und interessant – perfekt für kreative oder moderne Räume, die gewollte Unordnung und Individualität ausdrücken möchten. Peter Maly, ein bekannter deutscher Innenarchitekt findet, dass asymmetrische Formen einem Raum eine besondere Dynamik verleihen können und ihn von der Masse abheben lassen.

Psychologisch betrachtet wirken Kreise und ovale Formen äußerst freundlich und harmonisch, während Quadrate und Rechtecke Stabilität vermitteln. Dreiecke hingegen können Energie und Bewegung vermitteln, aber auch Unruhe erzeugen, wenn sie übermäßig eingesetzt werden. Sally Augustin, eine Umweltpsychologin und Expertin für Wohnpsychologie, betont: „Die Formen in unserer Umgebung beeinflussen unsere Stimmung und unser Verhalten auf subtile Weise. Indem wir bewusst Formen wählen, können wir eine Atmosphäre schaffen, die uns unterstützt und unser Wohlbefinden steigert.“

Individuelle Vorlieben sind natürlich wichtig, um die persönliche Note einzubringen, aber die Berücksichtigung dieser Prinzipien kann helfen, eine funktionale und ästhetisch ansprechende Umgebung zu schaffen, die sowohl unseren praktischen als auch ästhetischen Bedürfnissen gerecht wird.

Material Holz: Natürlich, warm und beruhigend
Angekommen in der neuen Wohnung von Freunden. Während die Freundinnen es sich direkt auf der kuscheligen Couch gemütlich machen und angeregt miteinander plaudern, verlagert sich das Geschehen für die Männer in die Küche. Ein ungewohntes Bild, aber keine Sorge, hier wird nicht etwa gekocht. Stattdessen fällt der Blick auf die Arbeitsplatte, die sogleich mit einer Handfläche sanft erkundet wird, hin und her gestrichen und schließlich festgeklopft. „Wow… Echtholzplatte, oder?“ Romantischer wird es nicht mehr, versprochen.

Holz, das urwüchsige Material der Natur, erfreut sich als beliebtester Werkstoff in der Inneneinrichtung nicht ohne Grund großer Beliebtheit. Es fühlt sich nicht nur angenehm an, sondern strahlt auch eine natürliche Wärme aus und verströmt zudem einen angenehmen Duft, der die Sinne belebt. Doch seine Vorzüge beschränken sich nicht nur auf das Ästhetische: Holz hat nachweislich eine positive Wirkung auf das Wohlbefinden und die Gesundheit des Menschen. Es schafft eine Atmosphäre der Ruhe und Behaglichkeit, die Stress abbauen und Entspannung fördern kann.

Sally Augustin betont die beruhigende Wirkung von Holz in der Inneneinrichtung. Laut ihren Forschungen fördert die Präsenz von Holzelementen in Wohnräumen ein Gefühl von Verbundenheit mit der Natur und kann dadurch Stress reduzieren.

Angesichts dieser Erkenntnisse scheint es nur logisch, Holz als das Wundermittel der Natur in unsere Wohnräume zu integrieren. Ob als massive Echtholzplatte, rustikales Möbelstück oder eleganter Parkettboden – die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und die positiven Effekte auf unser Wohlbefinden unbestreitbar.

Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt
Ihr seht, viele Wege führen nach Rom. Und auch, wenn man auf dem Rechner die perfekte Einrichtung, mit der perfekten Farbe, den besten Formen und den natürlichsten Materialien wählen kann, am Ende ist doch nur eines wichtig: Dass ihr euch wohlfühlt.

Denn nur, wenn ihr euch in eurem Zuhause geborgen fühlt, könnt ihr euer Leben in vollen Zügen genießen. Wie der finnische Architekt Alvar Aalto einst zu sagen pflegte: „Die Aufgabe der Architektur ist es, das Leben in all seinen Formen zu verbessern.“ Vielleicht fragt ihr euch nun, wie man dieses Ziel erreichen kann. Die Antwort liegt oft in einem feinen Zusammenspiel zwischen persönlichem Geschmack und wissenschaftlicher Erkenntnis über Wohnpsychologie. Es ist wichtig, sich nicht nur von Ästhetik leiten zu lassen, sondern auch die psychologische Wirkung zu berücksichtigen. So kann ein bewusster Umgang mit diesen Erkenntnissen zu einer harmonischen und unterstützenden Wohnatmosphäre führen.

Wie diese Verbesserung konkret aussieht, darf jeder Mensch für sich selbst herausfinden. Also nehmt euch die Zeit, eure Einrichtung nach eurem Geschmack zu gestalten, und lasst euch dabei von eurem eigenen Stil und euren individuellen Vorlieben leiten. So wusste sogar Pippi Langstrumpf: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Und wer die Filme kennt, der weiß, dass sie damit ziemlich gut gefahren ist.

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