Porträt von Adrian, Foto von Sonja von Knoblauch

Adrians Weg mit Behinderung 

Adrians Leben wird durch eine geistige Beeinträchtigung geprägt und ebenso das seiner Familie. Mit Wissen, Geduld und festen Routinen gelingt es ihnen, den Alltag zu gestalten und sogar Ausflüge zu ermöglichen. Besonders Adrians musikalisches Talent und seine positive Ausstrahlung zeigen, dass er weit mehr ist als seine Diagnose.
Adrian in der Schaukel, Foto von Sonja von Knoblauch

Sein Leben lang auf andere angewiesen zu sein, ist für die meisten wahrscheinlich unvorstellbar. Doch für den jungen Mann auf dem Foto, Adrian, ist dies eine Voraussetzung, um seinen Alltag zu meistern. Er ist mittlerweile 42 Jahre alt und lebt seit seiner Geburt mit einer geistigen und seelischen Beeinträchtigung, die seinen Alltag stark beeinflusst. Wie er trotz der Beeinträchtigung sein Leben lebt und wie seine Familie damit umgeht, zeigt diese Reportage.

Ein holpriger Start ins Leben

Adrians geistige und seelische Beeinträchtigung äußert sich in mehreren Krankheitsbildern. Sein Leben begann mit einer kritischen Frühgeburt in der 33. Schwangerschaftswoche. Die ersten Wochen seines Lebens verbrachte er in einem Brutkasten. Durch die Frühgeburt waren seine Lungen noch nicht fertig ausgebildet, wodurch es zu einer Sauerstoffunterversorgung kam. Dies war die Ursache für seine Krankheiten. Zu diesen Krankheiten gehören Epilepsie, Spasmus, Hyperaktivität und eine Wahrnehmungsstörung.

Bei Epilepsie kann es durch plötzliche Störungen der Hirnfunktion zu zeitweiligen Bewusstseinsverlusten kommen. In seiner Kindheit erlitt Adrian mehrere zum Teil auch größere Epilepsieanfälle, die sich in Krämpfen, Bewusstlosigkeit und einem anschließenden Erschöpfungsschlaf äußerten. Die Anfälle wirkten sich auf seine Stimmung aus, sodass er nach einem Anfall meist gereizt und missmutig gelaunt war. Es kann bei diesen Anfällen dazu kommen, dass Hirnzellen verloren gehen und somit mühsam Erlerntes wieder verlernt wird. Adrian ist dadurch nicht auf dem für sein Alter entsprechenden Entwicklungsstand.

Eine Folgekrankheit der Epilepsie ist Spasmus, eine Störung im zentralen Nervensystem, durch die es zu einer Erhöhung der Muskelspannung kommt. Bei Adrian sieht man die Auswirkungen vor allem, wenn er sich freut und dabei unwillkürliche Bewegungen macht.

Er ist hyperaktiv, ständig in Bewegung und möchte alles erforschen. Überall möchte er zuhören und sich mit jedem unterhalten, wobei anzumerken ist, dass er das Gesagte meist sofort wieder vergisst.

Seine Wahrnehmungsfähigkeit ist gestört, weshalb er keine Gefahren einschätzen kann und keinen Orientierungssinn besitzt. Er ist deshalb im Straßenverkehr auf besondere Unterstützung angewiesen. Mithilfe von Tricks und viel Übung wurde ihm beigebracht, an gefährlichen Straßen auf der Häuserseite zugehen und sich bei seiner Begleitperson einzuhaken.

Als Kind litt er unter einer Überempfindlichkeit der Haut, die durch eine Therapie behandelt wurde. Die Therapie hatte den Nebeneffekt, dass er nun kein Empfinden für Schmerzen, Wärme oder Kälte mehr besitzt. Es besteht die Gefahr, dass es unbewusst zu schweren Verletzungen, zum Beispiel durch Verbrennungen kommen kann, da er die Hitze nicht spürt.

Superkraft Musik

Eine besondere Verbundenheit hat Adrian zur Musik. Möglicherweise liegt das daran, dass seine Mutter ihm als „Frühchen“ am Brutkasten zur Beruhigung immer etwas vorgesungen hat. Seine Familie nutzt diese Begabung, um ihn mithilfe von Gesang Dinge verständlicher nahezubringen. Er lernte durchs Vorsingen im Alter von vier Jahren das Sprechen. 

Adrians besondere Begabung ist, dass er sich Songtexte nach einmaligem Hören sofort merken kann. Er ist Mitglied der inklusiven Band „Kraftzwerge“. Die Band ist ein Projekt der Lebenshilfe Helmstedt-Wolfenbüttel. Die Musiker geben Konzerte und nehmen auch CDs im Tonstudio auf. Sie covern nicht nur Rockklassiker, sondern komponieren auch eigene Songs. Adrian ist einer der Sänger der Gruppe und spielt auch ab und zu Schlaginstrumente. 

 

Adrian beim Konzert der „Kraftzwerge“, Foto von Sonja von Knoblauch

Feste Strukturen durch ein Berufsleben

Nicht nur privat, sondern auch beruflich ist Adrian mit der Lebenshilfe verbunden. Er arbeitet in einer Fördergruppe, in der Menschen mit Beeinträchtigung als Hilfskräfte verschiedene Aufgaben übernehmen. Die Tätigkeiten variieren je nach Auftrag. Beispielsweise falten sie Kalender oder führen einfache Schraubtätigkeiten aus. Die Arbeit läuft immer zu festen Uhrzeiten ab und wird von Betreuern begleitet. Laut seiner Arbeitsstelle ist Adrian immer sehr engagiert. Da Adrian durch seine Erkrankung nicht so gut mit Veränderungen umgehen kann, fällt es ihm besonders schwer, wenn nicht genügend Aufträge zum Abarbeiten vorhanden sind. 

Kindheit zwischen Regelkindergarten und Förderschule

Bevor Adrian ins Berufsleben startete, besuchte er einen Regelkindergarten und dann eine Förderschule. Der Besuch eines normalen Kindergartens war damals nicht üblich. Dies war nur möglich, da seine Mutter eine Abmachung mit dem Kindergarten schloss und in dieser Zeit ehrenamtlich im Kindergarten mitarbeitete. Dadurch blieb Adrian eine weite Fahrt in einen speziellen Kindergarten für Kinder mit geistiger Beeinträchtigung erspart. So konnte er von den anderen Kindern einiges lernen. Die Kinder waren meist sehr geduldig mit ihm und unterstützen ihn, indem sie ihm immer wieder erklärten, wie man einen Stift hält oder sie malten Bilder für ihn, denn mit feinmotorischen Aufgaben wie Malen hatte Adrian durch seine Krankheit immer Probleme. Natürlich gab es auch unschöne Momente mit Kindern, die ihm Gewalt zufügten. Doch Adrian überraschte die Kinder, indem er sich nicht wehrte und nicht nachtragend war. Im Gegenteil, als die Kinder Ärger bekamen und sich schämten, nahm er sie vor den Erziehern in Schutz. 

Später kam er auf die „Rudolf-Dießel-Schule“ in Königslutter, eine Förderschule mit dem Schwerpunkt auf geistige Entwicklung. Eine Besonderheit an der Schule ist, dass die Klassen nur aus wenigen Schülern bestehen und dass die Unterrichtsfächer sich von anderen Schulen unterscheiden. Statt Deutsch und Mathe stehen eher Fächer wie Sprache, Einzelförderung oder Entspannung auf dem Stundenplan. Adrian kann weder lesen noch schreiben und wird es auch nicht lernen können. Die Schüler erhalten am Ende auch kein Abschlusszeugnis mit Noten, sondern eine Einschätzung über ihre Entwicklung und wie sie in den einzelnen Bereichen zurechtkamen.

Routinen als Alltagshelfer

Adrians Alltag ist stark von festen Routinen geprägt. Das ist für ihn sehr wichtig, da er, wie erwähnt, mit Veränderungen nicht gut zurechtkommt. Er kann schlecht umdenken und wird durch Abweichungen verunsichert. Im Alltag helfen ihm vor allem Reizwörter wie zum Beispiel „Kaffee kochen“, um eine Orientierung zu erhalten. 

Zeitliche Wahrnehmungen wie Wochentage kann er sich mithilfe fester Termine an den jeweiligen Tagen leichter merken. Er hat jeden Dienstag Bandprobe und spielt jeden Donnerstag Tischtennis in der Lebenshilfe.

Adrian ist aufgrund seiner Krankheit auf eine „Rund um die Uhr“-Betreuung angewiesen, denn er kann seinen Alltag nicht allein gestalten, geschweige denn bewältigen. Die Betreuung erfolgt hauptsächlich durch seine Eltern. Ohne seine Eltern wäre er auf Pflegepersonal oder sogar ein Heim angewiesen. Da Adrian keine Wünsche äußern kann, kann er über sein Leben nicht selbst entscheiden. 

Adrian und sein Nachbar Martin, Foto von Sonja von Knoblauch

Ab und zu passt Adrians älterer Nachbar Martin auf ihn auf, um die Familie zu entlasten. Die beiden harmonieren sehr gut miteinander, da sie sich gegenseitig ergänzen. Während Martin die Betreuung übernimmt, hilft Adrian seinem Nachbarn bei körperlich anstrengenden Aufgaben, die ihm schwerfallen.

An Orten mit vielen Menschen braucht Adrian immer eine Bezugsperson in Sichtweite, um sich sicher zu fühlen. Eine Reizüberflutung überfordert ihn schnell, sodass er sich dann einen Rückzugsort sucht. Zuhause ist dies seine Schaukel im Garten.

Auch Urlaube sind möglich. Ein paar Tricks, wie eine Markierung an der Hotelzimmertür, dienen als Hilfe, damit Adrian das richtige Zimmer findet.

Befreundet ist Adrian unter anderem mit seinen Bandkollegen, die ihn hin und wieder zu Hause besuchen.

Er hat viele Interessen. Besonders faszinierend findet Adrian Dinge, die sich drehen oder Technik. Bei einem Museumsbesuch interessiert er sich nicht für die Kunstwerke, sondern für die Technik der Belüftungsanlage. Er ist ein großer Fan von Foto- und Videokameras. Fotos helfen ihm, sich an Dinge zu erinnern.

Im Alltag gibt es natürlich auch Hürden beispielsweise hatte Adrian Angst vor dem Zug fahren. Doch durch ständiges Üben und mit viel Geduld entwickelter er sogar Spaß daran.

Haushaltsaufgaben gestalten sich im Alltag schwierig. Adrian übernimmt höchstens kleine Aufgaben, wie den Tisch decken. Da er allerdings nicht zählen kann, nimmt er immer so viele Teller, wie er tragen kann. Gemeinsam wird dann geschaut, dass genügend Teller vorhanden sind. Den Rest stellt er wieder weg.

Adrians Alltag und der seiner Familie ist durch viele Arzt- und Behördentermine geprägt. Es muss regelmäßig ein Nachweis über seine Pflegebedürftigkeit eingereicht werden. Seine Familie hat sich juristisches und medizinisches Wissen angeeignet, damit sie die ihnen zustehenden Leistungen auch geltend machen können. Hin und wieder musste auch der Klageweg beschritten werden.

 Adrian mit seinen Eltern

Beeinträchtigt die Krankheit Adrians Leben?

Adrians Leben und auch sein Umfeld werden stark durch seine Krankheit beeinflusst. Doch mit Geduld, einigen Tricks und dem richtigen Wissen lernte die Familie mit Adrian und seinen Bedürfnissen umzugehen. Zum Vorteil für Adrian ist hierbei, dass seine Mutter bereits vor seiner Geburt einiges an Wissen besaß. Dies erlangte sie durch ein Praktikum in einer Einrichtung für mehrfach beeinträchtigte Kinder. Sie kann ihn somit gut unterstützen. Natürlich kann Adrian aufgrund seiner Krankheit keinen normalen Alltag führen, aber mit den richtigen Routinen lassen sich sogar Ausflüge ermöglichen. Beeindruckend ist, wie viel Leichtigkeit und Freundlichkeit Adrian ausstrahlt. Er selbst nimmt seine Krankheit nicht als Einschränkung wahr. Man sollte eben nicht nur die Einschränkungen in seinem Leben betrachten, sondern auch seine Stärken, wie zum Beispiel seine musikalische Begabung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es wichtig ist, sich über beeinträchtigende Krankheiten zu informieren, um Betroffene und Angehörige besser verstehen- und auch besser mit verschiedenen Situationen umgehen zu können. 

Titelbild: Porträt von Adrian, Foto von Sonja von Knoblauch

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