Deutschland rüstet auf

Kaputtgespart – und jetzt grundsaniert. Die Bundeswehr soll voll einsatzfähig werden und ihr Equipment erneuert. Spät entscheidet sich Deutschland für eine stärkere Bewaffnung. Aber ist das wirklich sinnvoll?

Es ist eine historische Entscheidung. Per Verfassungsänderung hat der Bundestag ein Sondervermögen für die Bundeswehr bewilligt. Neue Schulden in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro. Die dazu nötige Zweidrittelmehrheit im Bundestag wurde weit übertroffen. Lediglich AfD und Linksfraktion stimmten dagegen, 20 Abgeordnete enthielten sich. 100 Milliarden Euro sind ein gehöriger Zuschlag für das deutsche Militärbudget, den es so in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gab.Im Vergleich dazu liegt das gesamte Militärbudget 2021 bei gerade einmal 47 Milliarden Euro. Im selben Jahr gibt NATO-Partner USA 800 Milliarden US-Dollar für das eigene Militär aus, Russland investiert 65,9 Milliarden Dollar. Die Bundesregierung will mit dieser Investition zudem das 2-Prozent- Ziel der NATO erfüllen, welches bisher stets vernachlässigt wurde – auf die Schutzmacht USA war ja Verlass. In Russland wurde im Vergleich hierzu bereits jetzt 4,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in das Militär investiert.
Die Rhetorik ist stark: „Wir haben uns diese Welt nicht ausgesucht, aber müssen uns dieser neuen Realität stellen“, erklärte Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) im Bundestag. Auch FDP-Finanzminister Christian Lindner wirbt für das Investitionspaket auf Pump, der sonst stets für wirtschaftliche Vernunft und die schwarze Null eintritt. Früher hätte man Deutschlands militärische Stärke in Europa gefürchtet, jetzt fürchte man sich in Europa vor Deutschlands militärischen Defiziten, sagte der Chef der freien Liberalen. Schnell gehen wird es nicht mit der Modernisierung der Truppe. Anschaffungspläne müssen diskutiert und beschlossen, das Equipment dann über langwierige Verfahren ausgeschrieben, beschafft, hergestellt werden. Soldaten müssen eingestellt und geschult werden. Für den Ukrainekrieg kommen die Investitionen zu spät – einen eigenen Truppeneinsatz hat die Bundesregierung sowieso ausgeschlossen. Trotzdem sendet die Investitionsoffensive ein klares Signal an die Nato-Partner. Und vor allem nach Russland.

Jahrelanger Sparkurs

Geschichten über die marode Bundeswehr kennt fast jeder. Und auch wenn der schlechte Zustand der Bundeswehr oft überzeichnet wird, sind die Defizite nicht zu leugnen. Über Jahre hat sich der Investitionsrückstand aufgestaut. Alternde Hubschrauber können nicht mehr abheben, ein Großteil der Kampfpanzer ist nicht einsatzbereit, selbst Munition fehlt. Für die Missstände der letzten Legislaturperioden macht SPD-Kanzler Scholz die Union verantwortlich. „Die schlechte Zeit der Bundeswehr hat vor gut zehn Jahren begonnen“, sagte er gegenüber T-Online. Der über eine Plagiatsaffäre gestolperte Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Ex-Finanzminister Schäuble und Kanzlerin Merkel hätten damals den radikalen Sparkurs für die Bundeswehr beschlossen, inklusive der Aussetzung der Wehrpflicht. Bei sich selbst sieht er keine Schuld – auch nicht für seine Periode als Bundesfinanzminister seit 2018. Der Wehretat sei in dieser Zeit um 35 Prozent gestiegen, betont er – in einer Zeit, in der Ex-US-Präsident Donald Trump Angela Merkel wiederholt öffentlich dazu aufforderte, ihre „NATO-Rechnungen zu bezahlen“. Auf die US-Regierung, deren strategisches Interesse sich zudem eher in den pazifischen Raum verlagert hat, scheint weniger Verlass als früher. In diese Bresche ist Putins Aggression gestoßen.

Was nun?

Während der nächsten fünf Jahre werden die 100 Milliarden Euro dem normalen Verteidigungsetat hinzugeschlagen, so dass im mehrjährigen Durchschnitt eine Erfüllung des Zwei-Prozent- Ziels der Nato erreicht werden soll.
Die Bundesregierung legte dem Bundestag eine Liste vor, was beschafft werden soll. Gewünscht sei zunächst mit knapp 41 Milliarden eine große Investition in die Luftwaffe. Damit soll der F-35-Jet angeschafft werden als Ersatz für den in die Jahre gekommenen Tornado. Dieser sei vor allem für die nukleare Teilhabe notwendig, die NATO-Mit- gliedern Zugriff aus US-Atomwaffen ermöglicht. Auch sollen 60 schwere Transporthubschrauber angeschafft werden. Weitere 19 Milliarden sollen in die Marine investiert werden, um die deutsche Flotte mit einem größeren Raster an Schiffen auszustatten. Unter anderem sollen eine Marine-Rakete entwickelt und beschafft werden sowie U-Boot-Flugabwehrkörper und Unterwasserortungsgeräte.
Weitere 16 Milliarden sollen den Landstreitkräften zukommen. Vor allem werden dringend Nachfolger für den Truppentransporter Fuchs und den Schützenpanzer Marder gesucht, aber auch ein Nachfolger für den Leopard-2-Panzer soll in Kooperation mit Frankreich entwickelt werden. Von einem Raketenabfangschirm (Iron Dome) ist zuletzt nicht mehr die Rede. Der Restbetrag soll neben Bekleidung und persönlicher Ausrüstung in Forschung und Entwicklung investiert werden.

Langfristiger Selbstschutz

Symbolisch zeigt Scholz Vorstoß bereits Wirkung. Man sehe das Sondervermögen als Bestätigung der erneuten Wiederbewaffnung Deutschlands, sagte die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. Einen Vergleich zur Nazi-Zeit kann man sich in Moskau nicht verkneifen: „Wir wissen nur zu gut, wie das enden kann“. Die Antwort reiht sich in ähnliche propagandistische Aussagen über Russlands Gegner ein.
Die deutsche Botschaft ist klar. Man muss notgedrungen stärker Verantwortung in der NATO übernehmen, die Bundeswehr an allen Enden verstärken, die Verteidigung ernstnehmen. Die NATO ihrerseits scheint seit dem russischen Krieg im Aufwind. Schweden und Finnland wollen dem Bündnisbeitreten, Länder, die dies historisch stets ausgeschlossen hatten. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs ist die Aufrüstung eine ad hoc-Anerkennung der langfristigen Entwicklung einer zunehmend gewachsenen Bedrohungslage. Ob die jetzt beschlossene Modernisierung der Bundeswehr tatsächlich gelingen wird, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen.

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