Die Zero Waste-Bewegung nimmt sich zum Ziel, so wenig Müll wie möglich zu hinterlassen und den eigenen ökologischen Fußabdruck auf ein Minimum zu beschränken. Dabei geht es ihren AnhängerInnen vor allem um verschwendete Ressourcen und das Bewusstsein, das eben viele dieser endlich sind. Es geht auch darum, zu den natürlichen Wurzeln des Menschen zurückzukehren.
Der Zero-Waste-Lebensstil lässt sich in fünf Grundsätze aufschachteln:
Recycle: Nur das Nötigste wird entsorgt. Dabei wird auf eine effiziente Mülltrennung geachtet, denn nur das, was richtig entsorgt wird, kann auch recycelt werden.
Reuse: Ressourcen werden wiederverwendet, um den jeweils maximalen Nutzwert ausschöpfen zu können.
Refuse: Überflüssiges wird sich bewusst gemacht und abgelehnt. Verpackungen werden vermieden und es wird auf Komfort verzichtet.
Reduce: Persönlicher Besitz wird reduziert. Denn wer weniger konsumiert, hinterlässt auch weniger Müll.
Rethink: Selbstverständlichkeiten werden hinterfragt, Gewohnheiten überdacht. Ein neues Denken fordert dazu auf, die eigene Komfortzone zu verlassen und neu zu ergründen.
Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt viele AktivistInnen meiner Generation, die Millenials. Ich gebe aber zu, mich persönlich nie zuvor aktiv damit auseinandergesetzt zu haben. Die oft sehr langen Vorlesungstage des pandemiebedingten Online-Studiums rauben mir die nötige Zeit und Motivation. So lasse ich mich nach einem stressigen Vorlesungstag schon eher von Lieferando versorgen, als selbst den Kochlöffel zu schwingen. Einkäufe werden schnell im Supermarkt um die Ecke erledigt. Natürlich während den Vorlesungspausen und ohne spezifische Einkaufslisten. Seit einem halben Jahr lebe ich in einer WG. Unsere Müllproduktion ist vermutlich durchschnittlich. Aber lässt sich eine Reduktion des Müllverbrauchs nach den Zero Waste-Prinzipien in meinen studentischen Alltag integrieren?
Olga Witt lebt seit 2013 nach den Zero Waste-Prinzipen. Sie berichtet in ihrem Blog „Zero Waste Lifestyle“ von ihren Erkenntnissen, besitzt zwei Unverpackt-Läden, einen Online-Shop und hat zwei Bücher über das Thema verfasst. Unter anderem lehrt sie Interessierte in Vorträgen oder Workshops über die Zero Waste-Bewegung.
„Das Thema Müll hat mich schon lange beschäftigt, ohne dass ich wusste, was ich dagegen tun kann. Durch Zufall bin ich dann auf Zero Waste gestoßen. Das hat mich sehr angesprochen“, erzählt die Kölnerin.
Nach und nach eignete sie sich ihre Erkenntnisse und Erfahrungen an. Für die Aktivistin ist der Zero Waste-Lebensstil mit der Zeit zur Normalität geworden. „Man muss erstmal in die Routine kommen. Alte Gewohnheiten loswerden, umschreiben. Das kann viel Arbeit sein.“
In unserem Gespräch betont sie häufiger: „Null Müll gibt es nicht, es ist ein Streben dahin. Es geht ja nicht nur um Verpackungsmüll. Unsere Kleidung, unsere Möbel, jedes bisschen Müllreduktion ist wichtig und gut!“ Die junge Frau steht leidenschaftlich für ihren Lebensstil ein. „Im Hinblick auf Nachhaltigkeit passiert hier in Deutschland nicht viel. Ein Großteil der Verpackungen ist nicht recyclebar.“ Mit ihrem Zero Waste-Lebensstil möchte sie etwas bewirken und andere inspirieren.
Ich erzähle Olga von meinem Bestreben, eine Woche lang einen Selbstversuch vorzunehmen, bei dem ich auf die Grundsätze der Zero Waste-Bewegung eingehe und bewerte, ob sich dieser Lebensstil auch im studentischen Alltag umsetzen lässt. „Dir werden Dinge auffallen. Vieles wird dir erst bewusst, während du versuchst, es umzusetzen und du findest nicht direkt für alles eine Alternative. Es ist ein Entwicklungsprozess – was du bereit bist zu tun und was du noch nicht bereit bist zu tun“, erklärt sie. Sie empfiehlt mir: „Immer, wenn eine Sache leer geht, die du sonst benutzt, guckst du: Okay, was nutze ich jetzt als Alternative. Fang dabei mit Dingen an, die für dich leicht zu ersetzen sind. So machst du schneller Fortschritte.“
Mit diesen ermutigenden Worten starte ich meinen Selbstversuch.
Tag 1: Der erste Besuch im Unverpackt-Laden
Ich folge Olgas Rat und besuche den Unverpackt-Laden Wunderbar unverpackt in Braunschweig. Ich öffne die Tür des kleinen Ladens. Das Personal begrüßt mich freundlich. Ich blicke mich um. Das Sortiment erschlägt mich nahezu. Es gibt viel mehr zu finden, als ich erwartet hatte. Merkt man mir meine Unsicherheit an? Mutig wende ich mich an die Damen hinter der Theke: „Entschuldigung, ich war noch nie…“ Ich brauche gar nicht zu Ende zu sprechen. Eine der Verkäuferinnen hilft mir: „Zuallererst musst du deine mitgebrachten Gefäße wiegen und das Gewicht notieren. Dieses wird dann an der Kasse wieder abgezogen.“
Ich stöbere im Laden und befülle meine mitgebrachten Gefäße.
Am Ende kaufe ich Lebensmittel für die Woche, ein paar Snacks und ein trockenes Shampoo. Dafür bezahle ich 35,75 Euro. Die teuersten Artikel: das feste Shampoo und zwei Stoffsäckchen.
Tag 2: Sag „Nein“ zu Broschüren
Heute erlebe ich die Tücken des Zero Waste-Lebensstils.
Die Sonne strahlt und ich beschließe, nach meinen Vorlesungen in den Park zu gehen. Dort möchte ich ein paar Texte für die Uni lesen. Meine Snacks aus dem Unverpackt-Laden habe ich mitgenommen. Während ich auf einer Parkbank sitze und lese, spricht mich ein Mann im Vorbeigehen an. Wir kommen ins Gespräch über das Studium zu Pandemiezeiten. Seine Hand greift in seinen Rucksack und er reicht mir zwei Broschüren, lädt mich ein, mich bei Interesse zu melden. Er ist so schnell weg, wie er gekommen ist und hinterlässt mich verdutzt mit den Broschüren in der Hand. „Refuse“, denke ich. „Servietten, Broschüren und Flyer bewusst ablehnen“. Das nächste Mal würde ich daran denken.
Tag 3: Von Filterkaffee und festen Shampoos
Heute beginnt mein Tag früh – zu früh. Die Acht-Uhr-Vorlesung steht an. Die vorherigen Tage bin ich sehr gut darum herumgekommen, aber heute würde das nicht gehen. Ich brauche einen Kaffee. Wir haben eine Filtermaschine. Gibt es dafür nachhaltige Alternativen? Für einen Kaffee-Vollautomaten reicht das Geld leider nicht und ist diese überhaupt eine nachhaltige Alternative?
Am Abend gehe ich duschen und probiere das erste Mal eine Körperseife von dm und das Shampoo aus dem Unverpackt-Laden aus. Der Seifenblock fühlt sich anfangs ungewohnt auf der Haut an und das Shampoo scheint etwas unhandlich. Es schäumt allerdings sehr gut und ist ergiebiger, als ich dachte. Gewiss eine Sache der Gewohnheit, aber eben nichts an das man sich nicht gewöhnen könnte. Ich denke daran, wie viele Shampoo- und Duschgelflaschen ich in einem Jahr wohl verbrauche
Tag 4: Außer Haus ist gar nicht so leicht
Nach einem stressigen Tag voller Wohnungsbesichtigungen haben mein Freund und ich großen Hunger. Wir hatten uns für den Tag zwar ein wenig Gemüse eingepackt, aber das ist nun aufgegessen. Es ist 20 Uhr und wir wollen nicht mehr kochen. Wir halten bei einem türkischen Imbiss auf dem Weg an. Auf dem Parkplatz macht sich das schlechte Gewissen breit. Ich bestelle zwei Dönerboxen – denke dabei an die Pappschachtel, die als Verpackung dient. Halb so wild. Ich sage, dass ich keine Verpackung brauche. Um die Plastikgabel komme ich nicht herum. Der Mann hinter der Theke versteht mich nicht. Es ist chaotisch und stressig. Ich verliere meine Bestellung aus den Augen. „Hier“ ruft eine kleine Frau hinter der Kasse und reicht mir eine Plastiktüte. Ich traue mich nicht, etwas zu sagen, da die Angestellten sichtlich beschäftigt sind. Ich nehme die Tüte mit und gehe.
Tag 5: Die Nachwirkung
Nach meinem gestrigen Fehltritt bin ich etwas enttäuscht. Heute habe ich keine Vorlesungen. Am Vormittag erledige ich einige Aufgaben. Zum Mittag koche ich die Nudeln mit der Tomatensoße aus dem Unverpackt-Laden. Das Gericht schmeckt mir allerdings nicht besonders.
Zum Abendbrot gibt es ein paar Reste. Rührei, gebratenen Kohlrabi und Avocado. Mit einem Blick auf meine Müllproduktion bemerke ich, dass vieles davon Biomüll ist, den ich auch kompostieren könnte. Leider bietet das sich in einer WG ohne Balkon und Garten nicht sonderlich an.
Tag 6: Was bietet der Bio-Laden?
Heute will ich ergründen, ob das Sortiment eines Bio-Ladens einige Alternativen für mich bietet.
Im Bio-Markt kann ich noch mehr frisches Gemüse unverpackt kaufen als im Supermarkt. Viele Gewürze sind in Pappe eingepackt und es finden sich auch Mehrweggläser in den Reihen. Eine Hürde meines heutigen Einkaufs ist Sahne. Diese lässt sich nicht unverpackt kaufen. Ich mache mich also auf die Suche nach einer Packung aus Pappe. Nicht perfekt, schon nah genug.Im Nachhinein erfahre ich durch Olga, dass diese Pappverpackungen aus einem Verbundstoff aus Pappe, Kunststoff und Aluminium bestehen. Diese Verpackung ist nicht recyclebar und somit nicht besser als Plastik.
Tag 7: Fazit der Woche
Heute ist der letzte Tag meines Versuches. Ich möchte meine Woche reflektieren und wiege den Müll der letzten Tage. Das ist das Ergebnis: 1,728 Kilo. Zur Erinnerung: ein Mensch produziert in einer Woche laut dem NABU durchschnittlich um die sechs Kilo Haushalts- und Verpackungsmüll. Durch meine Reduktion habe ich also weniger als ein Drittel des Durchschnitts verbraucht. Eine sehr gute Bilanz. Es ist nicht möglich, alles von jetzt auf gleich umzustellen und das ist auch gar nicht der Sinn und Zweck der Zero Waste-Bewegung.
Die Lebensmittel im Unverpackt-Laden sind vielleicht ein wenig teurer als die eingepackte Variante aus dem Supermarkt, dafür sind sie aber von guter Qualität. Dasselbe gilt für das Sortiment des Bio-Ladens. Ich konnte in meiner Woche des Selbstversuchs sehr gut leben und habe lediglich für Anschaffungen wie das Shampoo, die Zahnpasta oder die Stoffsäckchen ein wenig tiefer in die Tasche greifen müssen.