Gärtnerei mal anders – Ein Ort zum Entfalten und Lernen

Raus aus dem häuslichen Rahmen und rein in die Arbeit. Die Tätigkeiten in der Gärtnerei Neuerkerode bieten Menschen mit Behinderung viel Abwechslung und Freude.

Die Gärtnerei liegt in dem kleinen Ort Neuerkerode. Man erreicht ihn, wenn man die Landstraße L625 entlang und durch den Ort Sickte fährt. Neuerkerode ist eine Ortschaft in der Samtgemeinde Sickte im Landkreis Wolfenbüttel in Niedersachsen. Mit einer Einwohnerzahl von gerade mal 790 Menschen ist Neuerkerode nicht das größte Dorf, aber dennoch etwas ganz Besonderes. Die Evangelische Stiftung Neuerkerode hat die Leitung über diesen Ort und bietet dort Menschen mit Behinderung ein zu Hause an. Ein Ort, wo sie unter Gleichgesinnten sind und sich frei entfalten können, ohne den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren. Die Betreuungsstufe wird an den Grad der Behinderung angepasst. Das bedeutet, dass einige noch selbstständig in einer Wohngruppe wohnen und das meiste allein machen, ohne großartige Betreuung, während andere rund um die Uhr betreut und gepflegt werden müssen.
Die Evangelische Stiftung Neuerkerode (ESN) wurde am 13. September 1868 von Pastor Gustav Stutzer, Luise Löbbecke und Oswald Berkhan gegründet. Das Ziel war es, ein Zuhause und einen Zufluchtsort für Mädchen und Jungen mit einer Behinderung zu schaffen. Inzwischen, 153 Jahre später, besteht die Unternehmensgruppe der ESN aus siebzehn Gesellschaften, die sich in den Hilfsfeldern Behindertenhilfe, Arbeit und Qualifizierung, Gesundheit und Rehabilitation, sowie Pflege- und Seniorenpflege engagieren. 3.000 MitarbeiterInnen und 200 Auszubildende kümmern sich an 70 Standorten täglich um 4.000 Menschen, die Unterstützung benötigen. Menschen, die besondere Betreuung benötigen, zum Beispiel im Bereich Wohnen, Arbeit und Gesundheit, können in dieses Dorf ziehen und werden dort betreut.

In der Gärtnerei können Tätigkeiten ausgeübt werden, die an das tatsächliche Berufsfeld eines Gärtners angelehnt sind. (Foto: Timo Quietmeyer)

In dem Bereich der Arbeit fasst die Tagesförderung. Diese ist der zweit größte Bereich in Neuerkerode. Unter den Rahmenbedingungen der einschlägigen Leistungsvereinbarung, die für alle geistig behinderten Menschen, die keine Förderschule besuchen und keine Aufnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) finden, individuelle Beschäftigungsangebote geschaffen. Die UN hat beschlossen, dass Bildung allen Menschen ausnahmslos möglich sein muss. Aus diesem Grund hat die Tagesförderung Natur und Umwelt ein neues Bildungsmodul ins Leben gerufen. Dieses Bildungsmodul wurde zum BAP (Bildung, Arbeit und Perspektiven) weiterentwickelt. Die Teilnehmenden dieses Programmes durchlaufen unterschiedliche Stufen und schließen am Ende jeweils mit einem internen Zertifikat ab. Aufgabenfelder, in denen die Menschen mit Behinderung arbeiten können, sind Keramik, Holzbearbeitung und Gärtnerei. Bildung darf kein Selbstzweck sein, sondern muss sich an den Entwicklungsperspektiven der Menschen orientieren.
So ist das auch in der Gärtnerei in Neuerkerode. Sie sie ist ein Teil der Tagesförderung. Die Menschen mit Behinderung können ihren häuslichen Rahmen verlassen und in ein zweites Milieu wechseln, um dort eine sinnstiftende Tätigkeit in einem vorgeschriebenen Zeitrahmen auszuüben, welcher an das tatsächliche Berufsbild eines Gärtners angelehnt ist. Die Tätigkeit steht unter dem Mantel des Normalisierungsprinzips. Die Zielgruppe sind erwachsene Menschen mit einer geistigen, körperlichen oder mehrfachen Behinderung, die nicht mehr einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) nachgehen können und bei denen bereits die Schulpflicht erfüllt ist.
Hauptsächlich kümmern sich die Menschen mit Behinderung in der Gärtnerei um den Anbau und das Ernten von Gemüse. Das Ganze beginnt mit der Aufzucht der Setzlinge in Gewächshäusern, über das Aussetzen dieser auf den Feldern, bis hin zur Ernte und dem Verkauf. Verkauft wird das Gemüse in Gemüsekisten, welche online zu erwerben sind. Diese Gemüsekisten werden teilweise sogar bis Hamburg oder München verkauft. Da der Gemüseanbau jedoch saisonabhängig ist, haben die Beeinträchtigten im Winter andere Aufgaben. So stecken sie zur Weihnachtszeit Adventskränze, basteln Weihnachtsschmuck und können sich selber ein wenig von der harten Arbeit erholen, die sie das ganze Jahr über ausgeübt haben. Eine Neuheit, die die Gärtnerei in diesem Jahr bereichert hat, sind Hühner. Diese stellen für alle MitarbeiterInnen eine neue Herausforderung dar und bringen den Behinderten nicht nur frische Eier, sondern auch eine Menge Spaß.
Damit ein sorgenloses Arbeiten gewährleistet werden kann, geht die pädagogische Arbeit dabei von den jeweiligen Lebenssituationen der Menschen aus. Dabei findet im alltäglichen Zusammenleben eine bewusste Auseinandersetzung mit Werten und sozialen Regeln, sowie Kern- und Fachkompetenzen statt. Dadurch werden gemeinsam Regeln erarbeitet und in leichter Sprache dargestellt, sodass sie für jeden dort verständlich sind. So soll das Lernen in einem überschaubaren Zusammenhang und Rahmen, verbunden mit der Tätigkeit, zu einem sinnvollen Ziel führen. Innerhalb der Beschäftigung werden Kompetenzen wie Soziales, Kommunikation untereinander, sowie Fertigkeiten zur Teilhabe am Leben mit einbezogen und gefördert.
Aber nicht nur die Menschen in der Gärtnerei sind was ganz Besonderes. Auch die Art und Weise, wie das Gemüse angebaut wird ist einzigartig. Denn die Gärtnerei betreibt eine ökologische Landwirtschaft. Die Grundidee dabei ist, das nachhaltige Wirtschafen im Einklang mit der Natur. Laut Daniela Albrecht, Leiterin der Gärtnerei, steckt dahinter auch die grundlegende Überzeugung, dass nur eine nachhaltige und zugleich wirtschaftlich ausgerichtete Land- und Forstwirtschaft zukunftssicher ist. Die langfristige Sichtweise und die Ausrichtung auf Generationen ist dabei ein wichtiger Aspekt. In der Praxis sieht das dann so aus, dass die Landwirtschaft einen möglichst geschlossenen Nährstoffkreislauf generieren will, ohne chemische Zusätze. Das Futter für die Tiere und der Dünger für die Pflanzen soll dabei so gut wie möglich der eigene Betrieb liefern. Eine wichtige Rolle spielt dabei die artgerechte Tierhaltung, sowie der Erhalt und die Förderung der Bodenfruchtbarkeit, was für das optimale Wachstum der Pflanzen wichtig ist. „Für uns ist das hier eine Art Leuchtturmprojekt, mit dem wir zeigen wollen, dass Landwirtschaft auch wirtschaftlich attraktiv ist.“, sagt Daniela Albrecht.

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