Gendern, gendergerechte Sprache, geschlechterneutrale Kommunikation. Es gibt viele verschiedene Begriffe und doch sollen sie alle das gleiche bezwecken. Bei der Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache wird versucht, nicht-diskriminierend und nichtausgrenzend zu kommunizieren. Es sollen also alle Geschlechter gleichermaßen eingebunden, abgebildet sowie sichtbar und hörbar gemacht werden.
Im Zentrum der Kritik steht das sogenannte generische Maskulinum. Damit gemeint ist die geschlechterübergreifende Verwendung eines maskulinen Wortes als allgemeingültigen Oberbegriff. Es wird damit argumentiert, dass das grammatische Geschlecht nichts mit dem natürlichen Geschlecht zu tun habe. Bei der Bezeichnung „die Studenten“, ist somit eine Personengruppe gemeint, die aus allen Geschlechtern zusammengesetzt sein könnte. Doch diese Bedeutung des generischen Maskulinums existiert erst seit Ende der 80er. Denn vorher war die männliche Form auch nur eindeutig männlich. Es gab einfach keine Richterinnen oder Wählerinnen, die mitgemeint werden sollten.
Formen des Genderns
Um geschlechtergerecht zu kommunizieren, kann anstelle des generischen Maskulinums auf die Paarform zurückgegriffen werden. Hier wird sowohl die männliche als auch die weibliche Form aufgezählt, also: Studenten und Studentinnen. Problematisch hierbei ist zum einen, dass nicht-binäre Personen ausgegrenzt werden. Zum anderen kritisieren Forschende, dass das Augenmerk stark auf das Geschlecht gelenkt wird und die essenzielle Aussage stattdessen in den Hintergrund rückt.
Sogenannte neutralisierende Formen bilden eine weitere Variante der gendergerechten Sprache. Gemeint sind hierbei Bezeichnungen wie Studierende. Doch auch neutralisierende Formen sind umstritten, da sich viele Wörter nicht oder nur schwer neutral umformulieren lassen. Statt Schüler – Lernende? Statt Politiker – Mensch in der Politik? Um dieses Problem zu umgehen können durch Relativ- oder Passivsätze geschlechtliche Perspektiven gänzlich vermieden werden.
Statt: Der Student muss folgende Unterlagen beifügen. – Es sind folgende Unterlagen beizufügen.
Seit geraumer Zeit kursieren immer mehr Genderzeichen im öffentlichen Sprachgebrauch. Die wohl bekanntesten sehen wie folgt aus:
Student*innen, Student_innen,
Student: innen Student/-innen
Die Zeichen zwischen der maskulinen Anfangsform und der femininen Endung bilden sogenannte Platzhalter für Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Beim Sprechen wird anstelle der Zeichen eine kleine Pause eingelegt, wie zum Beispiel bei dem Wort Spiegelei. Diese Form des Genderns wird besonders aufgrund ihrer schlechten Lesbarkeit kritisiert. Zudem stellen die Umformulierungen zu Anfang einen Mehraufwand dar.
Warum die Debatte so kontrovers geführt wird
Wahnsinn. Unfug. Sprachpolizei. Das sind alles Wörter, die nicht selten im gleichen Atemzug mit dem Begriff Gendern fallen. Laut einer Umfrage zufolge lehnen fast zwei Drittel der Bevölkerung eine gendergerechte Sprache ab. Das Thema ist mittlerweile rund 40 Jahre alt. Dennoch wird es aktuell immer häufiger aufgegriffen und kontrovers diskutiert. Mit dem Umschwung gesellschaftlicher Verhältnisse geht auch immer ein Sprachwandel einher. Sprache fungiert als ein Spiegel unserer Gesellschaft. Während Frauen und nicht-binären Personen lange Zeit weniger Identität, Respekt, Würde, Mitsprache und Anerkennung zugesprochen wurde als der männlichen Bevölkerung, soll geschlechtergerechte Sprache nun potenzielle Diskriminierung vermeiden.
Mit dem Aufkommen des Genderns entstand eine starke Gegenbewegung. Sprache ist ein Thema, welches jede einzelne Person betrifft und um das niemand vorbeikommt. Eine Debatte, von der alle betroffen sind, bringt unzählige vielfältige Meinungen hervor und macht es umso schwieriger, sich auf einen Konsens zu einigen. Besonders der uneinheitliche Umgang der öffentlich-rechtlichen Medien, Politik und staatlichen Einrichtungen hat die Diskussion ums Gendern angefeuert. Während die Grünen und Linken sich explizit für eine gendergerechte Sprache aussprechen, positioniert sich vor allem die AfD klar dagegen. Doch nicht nur die Politik ist sich uneinig. Auch die Medienlandschaft geht unterschiedlich mit dem Thema um. Die überregionale Tageszeitung taz gendert, die Zeitungen des Axel-Springer-Verlags nicht.
Welche Form des Genderns die optimale ist, ist aus wissenschaftlicher Sicht noch unklar. Die Gesellschaft für deutsche Sprache spricht sich für einen geschlechterneutralen Sprachgebrauch aus, der verständlich, lesbar und regelkonform ist. Daher lehnen sie die Verwendung von Genderzeichen ab. Auch der Rat für deutsche Rechtschreibung sieht die Verwendung von Sonderzeichen kritisch, da sie zu grammatikalisch nicht korrekten Lösungen führen könnten. Der Duden hat sein Online-Wörterbuch überarbeitet und erstmals ein Kapitel für geschlechtergerechten Sprachgebrauch mitaufgenommen. Dort werden unterschiedliche Varianten gendergerechter Formulierungen vorgeschlagen.
Einwände gegen eine gendergerechte Sprache
Gendern löst Irritation aus. Generell empfindet die Gesellschaft Sprachwandel als negativ. Unbekannte Wörter sind für unser Gehirn erst mal anstrengender, da die Verarbeitung im Gehirn mehr kognitive Ressourcen braucht. Dadurch werden Texte mit Genderzeichen und umständlichen Umformulierungen schwerer lesbar und irritierend. Zudem können die Sprechpausen unnatürlich klingen und die Sprachästhetik darunter leiden.
Gendern ist nicht barrierefrei. Für Menschen, die kaum Deutsch können oder eine Leseschwäche, Hörbehinderung oder kognitive Einschränkungen haben, können Genderzeichen das Textverständnis erschweren. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband rät von Sonderzeichen beim Gendern ab, da die meisten Bildschirmleseprogramme diese nicht erkennen.
Gendern könnte eher zu Ablehnung statt zu mehr Gleichberechtigung führen. In der Wissenschaft gibt es das Phänomen der sogenannten Reaktanz. Es beschreibt den Widerstand gegen neue Regeln, der so weit geht, dass Menschen in ihrer Einstellung zu gewissen Themen noch extremer werden. Die Debatte übers Gendern könnte auch eine Reaktanz hervorrufen und dazu führen, dass Menschen sich gegen mehr Gleichberechtigung sträuben.
Gründe für eine gendergerechte Sprache
Psychologische Studien zeigen, dass das generische Maskulinum in unseren Köpfen Bilder von Männern hervorruft. Somit stellt es die Welt nicht so divers dar, wie sie heute ist. Durch gendergerechte Sprache werden zum einen Frauen sichtbarer gemacht, zum anderen werden auch nicht-binäre Personen inkludiert. Dies ist von großer Bedeutung, da Sprache auch Wirklichkeit schafft. Wer sprachlich unterrepräsentiert ist, verliert an Bedeutung.
Sprache prägt die kindliche Wahrnehmung von Berufen. Wenn Berufe in geschlechterneutraler Sprache genannt werden, trauen Mädchen sich eher stereotypische Männerberufe zu und Jungen auch stereotypische Frauenberufe. Zudem führen ausschließlich männlich formulierte Stellenanzeigen dazu, dass Frauen bei gleicher Qualifizierung seltener den Job bekommen.
Sprachen, die von Grund auf neutraler sind, könnten dafür sorgen, dass Menschen offener über Geschlechterrollen denken. In Schweden wurde 2015 das geschlechtsneutrale Pronomen „hen“ eingeführt. Es bezieht sich auf ein Individuum, ohne sein Geschlecht zu bestimmen. Das Fachmagazin „PNAS“ veröffentliche 2019 eine politikwissenschaftliche Studie, die darauf hinweist, dass die Verwendung genderneutraler Pronomen zu einer positiveren Einstellung gegenüber Frauen in der Politik und der LGBTQIA+ Community führen kann.
Die Sprachdebatte rund um das Thema gendergerechte Sprache ist noch lange nicht abgeschlossen. Gendern ist der Versuch nicht-diskriminierend und nicht-ausgrenzend zu kommunizieren. Die ersten Versuche sind niemals perfekt und es geht auch nicht darum von Anfang an alles richtig zu machen. Genderator, Genderleicht und geschickt gendern – das Genderwörterbuch sind Internetseiten, die Hilfestellungen liefern, um die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache zu vereinfachen. Die Wissenschaft kann zwar die Wirkung von Sprache untersuchen und daraus Empfehlungen ableiten, ob und wie unsere Gesellschaft gendert, liegt jedoch an jeder einzelnen Person.