Ein Tag im November, es ist 6:00 Uhr am Morgen. Die Milanstraße in Hannover liegt im Dunkeln. Auf den Straßen ist es still, fast unheimlich. Nur am Ende der Straße zeichnet sich ein schwacher Lichtschein ab. Die bunten Kirchenfenster werfen einen sanften Schimmer auf die noch dunkle Straße. Aus dem Inneren des Klostergebäudes ist ein leiser melodischer Gesang zu hören.
Während die Welt langsam wach wird, widmen sich die neun Schwestern des Karmelitinnenklosters ihrer ersten Tagesaufgabe: die Laudes – das Morgengebet. Im spärlich eingerichteten Gebetskorps heißen sie den Tag mit Kurzlesungen und Liedern willkommen. Nach einer halben Stunde verlassen sie still den Raum und begeben sich zum Frühstück.
Die Karmelitinnen: Leben in Stille und Freundschaft mit Gott
Die Hausoberin Schwester Sara erzählt, dass das Karmelitinnenkloster ein kontemplatives Kloster ist. Die Schwestern legen ihren Schwerpunkt auf die Kontemplation, also auf die innere Betrachtung, das Gebet und das Stillschweigen. Sie gehören dem Theresianischen Karmel an, der 1568 von der spanischen Heiligen Teresa von Avila als Reformzweig der Karmeliten gegründet wurde. Teresa sorgte für einen regelrechten Wandel in der Struktur des Gemeinschaftslebens und dem Leben mit Gott: Die Schwestern sollen wie Freundinnen zusammenleben, und Gott ihr Freund sein. Durch die Stille wird diese Beziehung gefestigt. Auch heute noch leben die Karmelitinnen nach diesen Vorsätzen. Neben dem Stillschweigen leben sie die Gelübde Armut, ehelose Keuschheit und Gehorsam.
Der Morgen
Der Tagesablauf im Kloster folgt einer festen Struktur. Das Frühstück findet in einem kleinen Raum statt. Die Schwestern setzen sich an den gedeckten Tisch und nehmen das Frühstück zwar zusammen, aber in Stille ein. Nach dem Frühstück verlassen die Schwesternden Raum und gehen zu ihrem jeweiligen Rückzugsort. Ein Ort, an dem jede von ihnen am besten in Beziehung mit Gott kommt, denn es folgt eine Stunde des inneren Gebets. „Das ist so ein Schwerpunkt in unserem karmelitanischen Leben. Also in Freundschaft mit Jesus zusammen zu sein“, erklärt Schwester Sara. In dieser Stunde hat jede Schwester die freie Entscheidung, wie diese Beziehung zu Gott aussehen soll:. Meditieren, Lesen des Evangeliums oder des Jesusgebets sind nur einige Aktivitäten, die sich für das innere Gebet anbieten.
Nach dieser Stunde der absoluten Ruhe versammeln sich die Schwestern wieder im Gebetskorps. Es beginnt die Terz. Der Raum wird erfüllt von dem melodischen Gesang und den Gebeten der Schwestern. Sobald das Echo des letzten Liedes abgeklungen ist, sitzen die Schwestern zusammen in Stille. Ein Gefühl von Ruhe erfüllt den Raum, bis eine Klangschale die Stille bricht. Damit wird das Ende der Terz bekannt gegeben. Die Schwesternerheben sich und versammeln sich bei Schwester Sara. Kurz bespricht sie mit den anderen, was am heutigen Tag ansteht. Danach verlassen sie den Gebetskorps und widmen sich ihrer Hausarbeit. Nur selten kommt es vor, dass eine Schwester das Klostergebäude verlässt.
An anderen Tagen findet vor der Arbeit entweder noch das Bibelteilen oder die Lesehore statt. Beim Bibelteilen unterhalten sich die Schwestern über das Evangelium vom Tag und teilen ihre Eindrücke. Bei der Lesehore wird ein Psalmengebet zusammen gebetet.
Jung, entschlossen und erfüllt
Mit nur 35 Jahren ist Franziska die jüngste Schwester hier im Kloster. Heute übernimmt sie den Dienst in der Waschküche. Sie ist dafür verantwortlich, die Wäsche der anderen zu waschen, zu bügeln und zu falten. Zwar haben die Schwestern einen strikten Tagesablauf, doch die Arbeiten ändern sich von Tag zu Tag. An anderen Tagen übernimmt sie zum Beispiel den Nähdienst, den Bibliotheksdienst oder die Rolle der Organistin. Während sie die Wäsche aufhängt und faltet, erzählt sie ihre Geschichte.
„Es war schon mein Weg“
Beim Verlassen der Waschküche ist auf dem Flur eine leise Zithermelodie zu hören. Die Musik kommt aus dem Gebetskorps. Dort sitzt Schwester Therese Maria über der Zither und übt ein neues Stück. Mit einem Lächeln im Gesicht zupft sie konzentriert die Saiten und erfüllt den ruhigen Raum mit Klang.
Der Mittag
Lautes Glockenläuten erfüllt das Klostergebäude. Es ist 12 Uhr. Nun beginnt die Mittagshore. Die Schwestern haben ihre Arbeit beendet und machen sich auf den direkten Weg zum Gebetskorps. Nachdem der letzte Glockenlaut ertönt ist, wird ein Lied gemeinsam angestimmt. Den Rest der Zeit beten die Schwestern das Psalmengebet des Alten Testaments.
Nachdem das letzte Gebet verklungen ist und der Schall des „Amens“ den Raum erfüllt hat, verlassen die Schwesternden Raum und machen sich auf den Weg zum Mittagessen. Mit einem Servierwagen wird das frisch gekochte Essen in das Esszimmer gefahren. Der Duft von selbstgemachtem Brot und Suppe erfüllt den Raum. Die Schwestern fangen an zu essen, und das Klappern des Bestecks ist zu hören. Wieder wird das Essen in Stille eingenommen. Aber diesmal ist im Hintergrund eine angenehme und ruhige Stimme wahrzunehmen. Mit einer Musikbox wird eine geistige Lesung abgespielt. Die Schwestern essen in Ruhe und hören aufmerksam zu. Sobald der letzte Teller Suppe aufgegessen ist, trennen sich die Schwestern. Es ist 12:30 Uhr und die Flure sind leer. Bis 14 Uhr haben sie nun Pause. Viele ziehen sich auf ihre Zimmer zurück.
„Es gab eine Leere in mir“
In der kleinen Sakristei neben dem Gebetskorps ist ein Klimpern zu vernehmen. Die Pause ist vorbei und Schwester Resty hat sich wieder ihrer Arbeit zugewendet. Sie kümmert sich um die Vorbereitungen des nächsten Gottesdienstes. Dafür legt sie alle notwendigen Sachen bereit. Sie kümmert sich aber auch um die Aufbewahrung der Gewänder. Neben ihrer Arbeit in der Sakristei sorgt sie zudem für das Essen. Eine Aufgabe, in der sie sehr aufgeht. Schon ihr Leben lang hat ihr das Kochen Spaß gemacht. Ursprünglich kommt Resty aus Uganda. Nach jahrelanger Unzufriedenheit hat sie sich dazu entschieden, einem Kloster in Uganda beizutreten. Ihr Glaubensweg führte sie schließlich nach Deutschland.
„Wenn du das tust, ich nehm’ mir das Leben“
Neben all den Handarbeiten kümmern sich die Schwestern auch selbst um die Buchhaltung des Klosters. Dafür ist Schwester Marie Therese zuständig. Sie lebt schon seit 66 Jahren im Kloster. Im Gegensatz zu ihren Mitschwestern, ist ihr die Entscheidung für ein Leben im Kloster nicht leichtgefallen. Doch trotz des Widerstandes in ihrer Familie, hat sie auf ihr Herz gehört und ihren eigenen Weg gefunden.
Der Nachmittag und der Abend
Um 16:15 Uhr sind die Arbeiten für den heutigen Tag geschafft. Aus dem Gemeinschaftsraum dringen Stimmen und Lachen, die das Klostergebäude mit Leben füllen. Die Schwestern haben Rekreation. Eine willkommene Abwechslung, bei der das Schweigen des Tages unterbrochen wird. Einige Schwestern sitzen zusammen und tauschen sich über die heutigen Gedanken und Erlebnisse aus. Andere schauen währenddessen konzentriert auf den Fernseher, wo ein Beitrag von Terra X läuft.
Um 17 Uhr kehrt allmählich wieder Ruhe ein. Die Gespräche verstummen und die Schwestern verlassen nach und nach den Raum. Es ist Zeit für das innere Gebet. Das Klostergebäude versinkt erneut in absoluter Stille. Bis 18 Uhr befinden sie sich nun in tiefer Beziehung zu Gott. Danach beginnt die Vesper, das Abendgebet. Der Ablauf ähnelt den anderen Gebetszeiten. Nach dem gemeinsamen Gesang und der gesprochenen Gebete versammeln sich die Schwestern im Esszimmer. Wieder gibt es selbstgemachte Speisen von Schwester Resty, und auch beim Abendessen kommt die Musikbox zum Einsatz. Heute läuft der Sender Radio Vatikan, der die Schwestern unter anderem mit Neuigkeiten vom Papst und der römisch-katholischen Kirche versorgt. Ihnen ist es wichtig, die Nachrichten der Weltkirche zu verfolgen.
Nach dem Abendessen folgt die Komplet, das Nachtgebet – der letzte Punkt auf ihrer Agenda. Diese beginnt um halb acht. Mit ruhigen Psalmen und Liedern schließen die Schwestern den Tag ab. Nach dem letzten Ton ziehen die sie sich schweigend auf ihre Zimmer zurück. Den Schwestern steht es frei, wann sie schlafen gehen und was sie davor tun. Hauptsache ist, es passiert in Stille. Doch ab halb elf ist auch die letzte Kerze erloschen. Die Nachtruhe beginnt und mit ihr wächst die Erwartung an einen neuen Tag.
Zwischen Kritik und Ablehnung: Die Zukunft des Klosters
Zwar verlassen die Schwestern nicht oft das Klostergebäude, trotzdem schotten sie sich nicht ab, sondern sind interessiert an der Außenwelt. Daher ist es für sie keine Neuigkeit, dass heute viele Menschen der Kirche den Rücken kehren und immer häufiger Kritik äußern. Zwar würden die Schwestern mit ihrem Leben gern auch die Außenwelt inspirieren, dennoch sind nur wenige Menschen an so einem Leben im kontemplativen Kloster interessiert.

Wo bei vielen Ängste entstehen, manifestieren sich bei Schwester Sara Sorgen. „Jesus ist jetzt nicht gekommen, um Klöster zu gründen“. Es sei zwar ungewiss was passiert. Dennoch: Schwester Sara ist optimistisch, dass immer wieder etwas Neues entstehen wird. Die Karmelitinnen sehen in der Not eine Chance. Sie wollen den Menschen zeigen, dass es auch anders geht. Sie sind offen für Neues und auch für Veränderungen. Schwester Sara erzählt mit einem hoffnungsvollen Blick, dass selbst wenn künftig ein Zusammenschluss mit anderen Klöstern nötig sei, sie nicht resignieren werden. Stattdessen sollten sie akzeptieren, dass vieles anders werde. Sie wollen dennoch für die Menschen da sein.
” […] Selbst dann, wenn es bedeutet, in eine ungewisse Zukunft zu blicken oder als Orden ein Stück weit zu sterben.”
– Schwester Sara
Titelbild: Schwester Sara im stillen Gebet, Foto von Angelina Sandvoß