Einigung, Einheit und Harmonie – drei Wörter, die die Essenz des Yoga auf beeindruckende Weise beschreiben. Diese jahrtausendealte Praxis aus Indien, geprägt durch Hinduismus und Buddhismus, vereint Körper, Geist und Seele zu einem ganzheitlichen Erlebnis, das weit über die körperlichen Übungen hinausgeht. Sie lädt dazu ein, die Belastungen des Alltags abzustreifen und innere Freiheit zu erlangen. Kein Wunder, dass Yoga in Deutschland immer mehr AnhängerInnen findet: 2024 praktizieren bereits 3,21 Millionen Menschen regelmäßig Yoga – ein Anstieg um rund 300.000 im Vergleich zu 2020.
Die vier Hauptsäulen des Yogas geben einen Einblick auf die Arbeit des Menschen in der Ganzheitlichkeit. Neben den Asanas, den Körperübungen und dem Pranayama, den Atemübungen, spielt auch die Meditation eine große Rolle in der Yogapraxis. Dabei konzentriert und sammelt sich der geistige Teil des Menschen und kann Entspannung finden. In der Yogapraxis erfährt man so gemäß der vierten Säule, neben körperlicher und geistiger Entspannung auch Regeneration und den Abbau von Stress. Diejenigen, die sich häufig in Gedankenströmen verlieren, können in der Meditation Ruhe finden. Es geht darum, die Gedanken zu beobachten, indem wir sie kommen und gehen lassen, ohne sie festzuhalten oder zu bewerten. So ist es möglich, Abstand von diesen zu gewinnen und gelassener zu werden. Achtsamkeit ist hier der zentrale Baustein in der Meditation. Yoga kann für jede Person verschieden aussehen und umfasst ein breites Spektrum an Praxen, die sich vielfältig in den Alltag integrieren lassen.

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Celine Hennig-Wilmking von Movement of Love, langjährige zertifizierte Yogalehrerin aus Braunschweig, beantwortet in einem Interview grundlegende Fragen zu Yoga und Achtsamkeit und gibt allen Interessierten Tipps an die Hand, um Yoga in den Alltag integrieren zu können.
Beruhigtes Nervensystem
Yoga ist etwas Individuelles, das jede/r für sich selbst kennenlernen und annehmen kann. Von dem ruhigen Yin-Yoga bis zum Hatha-Yoga ist für jeden etwas Passendes zwischen Entspannung und Anspannung dabei.
„Yoga ist das zur Ruhe bringen der Gedanken”, sagt Esther Moszeik, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität der Bundeswehr München. Sie erforscht die psychologischen Effekte von Meditation und beschäftigt sich mit den Zusammenhängen von Meditation und Stressreduktion. In den durchgeführten Studien habe man gesehen, dass die subjektive Einschätzung von Stress durch Meditation abnimmt und dass es keinen großen Unterschied macht, ob man täglich zehn Minuten meditiert oder in einer geringeren Häufigkeit und dafür länger, da beides einen Effekt habe. Man habe zudem herausgefunden, dass Menschen, die länger Meditation ausüben, morgens durch einen vergleichsweise geringeren Cortisol-Spiegel nicht direkt so gestresst in den Alltag starten würden, ergänzt sie. „Wenn wir als moderner Zivilisationsmensch dauerhaft gestresst sind, ist das extrem ungesund. Und wir bekommen dann chronische Erkrankungen und häufig ist es so, dass wir diese Aktivierung des autonomen Nervensystems gar nicht mehr runterfahren können. Und da können Atemtechniken tatsächlich ein gezielter Ansatz sein, um bewusst das autonome Nervensystem zu beeinflussen.”, so Holger Cramer, Professor des Universitätsklinikum Tübingen im Bereich der Komplementärmedizin, der sich mit ergänzenden Therapieansätzen auseinandersetzt. Er schließt daran an, dass das autonome Nervensystem sehr stark auf Stress reagiere und dadurch der ganze Körper hochfahren würde, da es um das Überleben ginge. So spiele auch die Atmung in der Yogapraxis eine zentrale Rolle.
Eine schnelle, flache Atmung signalisiert dem Körper Stress, ähnlich wie in einer Gefahrensituation. Das passiert, wenn wir angespannt sind und das autonome Nervensystem aktiviert wird. Eine tiefere und längere Atmung führt im Gegensatz dazu, dass sich der Körper sicher fühlt und entspannen kann. Im Yoga geht es um die achtsame Atmung in Bauch-, Brust- und Schlüsselbeinbereich und darum, bei sich selbst, in der eigenen Sicherheit anzukommen und das Nervensystem zu beruhigen. Moszeik hebt hervor, dass Meditation auch die Wahrnehmung schärft, da Bereiche im Gehirn trainiert würden, die für die Wahrnehmung zuständig sind. Außerdem geht es im Yoga auch darum, sich von Sinneseindrücken zurückziehen zu können, erklärt sie weiter: „Wenn jetzt um uns herum eine riesige Menschenmenge ist, gibt es ja einige Leute, die macht es dann total verrückt und die anderen können sich total gut davon abgrenzen. Das ist auch so ein Training, was im Gehirn dann passiert.”. Besonders die Praxis von Yoga Nidra, einer Meditation im Liegen, zeigte in Moszeiks Studien Erfolge: Sie richtet den Blick auf das Wesentliche und unterstützt die Achtsamkeit.
Erfolg mit Schattenseiten
Meditation hat demnach viele positive Auswirkungen auf unseren Körper, unseren Geist – die Ganzheitlichkeit des Menschen. Doch es gibt auch Geschichten von Menschen, die durch Meditation psychische Herausforderungen erlebt haben.
Von Panikattacken bis Psychosen gibt es verschiedene Berichte in Artikeln unserer Zeit. Untermauert von einer Langzeitstudie aus den USA von Willoughby B. Britton und KollegInnen, die Herausforderungen in der Meditation von westlichen BuddhistInnen untersucht hat, gibt es Zahlen, die verraten, dass die Hälfte aller Meditierenden einmal negative Auswirkungen erlebt hat. So habe zu viel Meditation einen ähnlichen Effekt wie eine Droge und man renne der Entspannung verkrampft hinterher. Doch es kann auch zu Psychosen kommen, etwa wenn man über einen langen Zeitraum, zu häufig und zu intensiv meditiert habe. Cramer relativiert: „Es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise, dass man mit Meditation psychische Störungen erzeugt. Sie kann jedoch durchaus ein Risikofaktor bei Menschen sein, die wissen, dass sie psychische Störungen haben, aber auch bei denjenigen, die noch keine Diagnose haben, neue Episoden der Erkrankung auszulösen.“ So ist es ratsam, sich nicht direkt in das Abenteuer Meditation hineinzustürzen, sondern sich in einer entspannten und kompetenten Umgebung anleiten oder sich ärztlich beraten zu lassen, sodass man die ersten Schritte in das Loslassen der Gedanken nicht allein gehen muss.
Yoga schweißt zusammen
Auch persönliche Geschichten zeigen die transformative Kraft des Yoga. Antje und Christian Jäde, InhaberInnen der Yogaschule Solis in Braunschweig, erzählen mehr über die Wirkungsweisen und positiven Erlebnisse durch und mit Yoga. Sie übernahmen im Oktober 2024 das Studio, nachdem sie seit 2008 als YogaschülerInnen dort aktiv waren und neben dem Yoga auch einander kennen und lieben gelernt haben. Die Yogaschule Solis am Botanischen Garten bietet ein vielfältiges Kursprogramm, das den Schwerpunkt auf die körperbetonte Art des Ashtanga-Yogas legt.
Nicht nur die körperliche Praxis, wie sie in der Yogaschule Solis gelehrt wird, hat an Popularität gewonnen, sondern auch Yoga als therapeutische Methode. Es findet zunehmend Beachtung in Wissenschaft und Forschung – ein Boom, der nicht von ungefähr kommt. Was zunächst als Trend wahrgenommen wurde, hat sich längst als seriöse Gesundheitsmaßnahme etabliert.
Alte Praxis, neue Erkenntnisse
Ein wesentlicher Grund für den wachsenden Forschungsdrang ist die steigende Nachfrage nach nichtmedikamentösen Therapiemöglichkeiten. Diese sollen ganzheitlich wirken und weniger Nebenwirkungen haben. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen chronisch krank, gestresst und psychisch belastet sind, suchen viele nach komplementären Behandlungsmöglichkeiten, die ihre Lebensqualität ohne zusätzliche Medikamente oder invasive Eingriffe verbessern.
Yoga hat sich in diesem Zusammenhang als vielversprechende Methode erwiesen. In den 1970er Jahren gab es nur vereinzelte Studien, die häufig auf persönlichen Erfahrungen von Fachleuten basierten und sich vor allem mit positiven Effekten auf die körperliche Gesundheit, wie zum Beispiel Blutdrucksenkung, beschäftigten. In den letzten zwei Jahrzehnten hat das wissenschaftliche Interesse an Yoga stark zugenommen. Diese Entwicklung ist vor allem auf das breite Anwendungsspektrum und die steigende Nachfrage in der Bevölkerung zurückzuführen. Heute werden 70 bis 100 klinische Studien pro Jahr publiziert, die sich mit den gesundheitlichen Vorteilen von Yoga beschäftigen, erklärt Holger Cramer vom Universitätsklinikum Tübingen. Dabei liege der Schwerpunkt auf den Bereichen chronische Erkrankungen, psychische Gesundheit und Stressbewältigung.
Hoffnung für Körper und Geist
Dass Yoga bei chronischen Erkrankungen wie Rückenschmerzen, Arthrose und Arthritis Schmerzen lindern und die Lebensqualität verbessern kann, haben unter anderem Studien von Cramer und Kollegen (2018, 2022) gezeigt. Diese Effekte blieben bei regelmäßiger Praxis langfristig bestehen.
Im Vergleich zur Physiotherapie sei Yoga bei chronischen Schmerzen ebenso wirksam und eine attraktive Ergänzung. Auch bei Depressivität zeige Yoga als Ergänzung zu Psychotherapie oder medikamentöser Behandlung positive Effekte.
Eine besondere Stärke von Yoga sei der Stressabbau, der sowohl zur Prävention als auch zur Behandlung von Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitrage. Durch die Kombination von Bewegung, Atemtechniken, Meditation und Entspannung wirke Yoga gezielt auf das autonome Nervensystem und fördere die Selbstregulation des Körpers, beispielsweise bei Bluthochdruck und chronischem Stress.
Starkes Duo: Yoga und Krebstherapie
Ein besonders vielversprechendes Einsatzgebiet von Yoga ist die begleitende Krebstherapie, die unter anderem von Cramers Team erforscht wird. Hier werde Yoga nicht zur Heilung der Krankheit eingesetzt, sondern zur Linderung der Nebenwirkungen von Chemotherapie, Bestrahlung und Operation. Hervorzuheben sei die Behandlung von Fatigue, einer chronischen Erschöpfung, die viele KrebspatientInnen belaste. Wie von Physiotherapeut Roger Hilfiker und Team (2018) in ihren Studien hervorgehoben, habe sich Yoga in diesem Bereich als wirksamste nicht-medikamentöse Therapie erwiesen. Neben der Verringerung der Fatigue profitierten die PatientInnen von einer verbesserten psychischen Verfassung, weniger Ängsten und Depressivität sowie einer gesteigerten körperlichen Fitness. Die Forschung in diesem Bereich erfolgt in der Regel über randomisierte kontrollierte Studien. Dabei wird untersucht, wie sich Yoga auf Parameter wie Schmerz, Erschöpfung und Lebensqualität auswirkt.
Die Forschung in diesem Bereich erfolgt in der Regel über randomisierte kontrollierte Studien. Dabei wird untersucht, wie sich Yoga auf Parameter wie Schmerz, Erschöpfung und Lebensqualität auswirkt. Eine Gruppe praktiziert Yoga, während eine Kontrollgruppe alternative Interventionen erhält. Solche Studien bilden die wissenschaftliche Grundlage für die Integration von Yoga in die klinische Praxis. |
Insbesondere bei BrustkrebspatientInnen konnten positive Effekte beobachtet werden. Neben der körperlichen Bewegung könnte hier die Atemarbeit eine zentrale Rolle spielen, um das durch die Erkrankung und deren Behandlung gestörte autonome Nervensystem zu stabilisieren. Yoga könne auch zur Förderung des emotionalen Wohlbefindens und zur Stärkung der Resilienz beitragen, was die Lebensqualität der PatientInnen nachhaltig verbessern könne, so Cramer.
Wo die Grenzen auf der Matte liegen
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse gibt es auch Grenzen für die Anwendung von Yoga als Therapie, betont der Experte Cramer. Yoga sei keine Wundermethode, die alle Beschwerden heilen könne. In vielen Fällen sei es eine unterstützende Therapie, eine Ergänzung, aber kein Ersatz für andere medizinische Behandlungen. Insbesondere bei schweren Erkrankungen wie Krebs oder chronischen Schmerzen solle Yoga nur als Teil eines umfassenden Therapieplans gesehen werden.
Yoga kann so angepasst werden, dass nahezu jeder Mensch es praktizieren kann. Dennoch ist nicht jede Form von Yoga für jeden gleichermaßen geeignet. Cramer führt weiter an: „Es gibt ein gewisses Gefahrenpotenzial und es hat sich ungefähr jede/r Fünfte, die/der Yoga praktiziert, schon einmal beim Yoga verletzt oder eine andere unerwünschte Wirkung erfahren. Das sind sehr leichte, vorübergehende Nebenwirkungen, die auftreten, die dann aber auch wieder verschwinden.“ Aber es gebe auch Berichte von schwerwiegenden, unerwünschten Ereignissen, räumt Cramer ein. Um Verletzungen oder Überlastungen zu vermeiden, müssten Menschen mit bestimmten körperlichen Einschränkungen oder gesundheitlichen Problemen ihre Yogapraxis sorgfältig anpassen und gegebenenfalls von einem spezialisierten YogalehrerInnen oder TherapeutInnen begleitet werden. Vor Beginn einer Yogapraxis sollte daher immer Rücksprache mit den behandelnden ÄrztInnen gehalten werden.
Es ist genau diese Vielfalt der Aspekte des Yoga, die in der Yogaschule Solis von den Praktizierenden gelebt und umgesetzt wird.
Krankenkassen: Unterstützung oder Hürde? Yoga könnte im Gesundheitssystem eine größere Rolle spielen, stößt aber vor allem bei den Krankenkassen auf Widerstand. Diese, so der Neurochirurg und Politiker Christos Pantazis, seien an strenge Richtlinien gebunden, die eine breitere Evidenzbasis verlangen würden. Auch wenn erste Studien positive Effekte von Yoga zeigten, etwa bei chronischen Erkrankungen wie Rückenschmerzen oder Stress. Erste Fortschritte sind dennoch erkennbar: Krankenkassen müssen gemäß des Präventionsgesetzes entsprechende Kurse bezuschussen, darunter können auch Yogakurse zählen. Ob Yoga als reguläre Therapie anerkannt werde, sei aber noch offen. Pantazis betont, dass die Krankenkassen eine zentrale Rolle spielen könnten, Yoga gesellschaftlich zu verbreiten. |

©Tobias Tanzyna
Achtsame Ostfalia?
Auch einige Hochschulen versuchen, Yoga und Achtsamkeit in den Alltag zu integrieren. So setzt sich zum Beispiel Lisa Dühring, Professorin für Strategische Kommunikation an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, dafür ein, diese Ansätze stärker im Hochschulalltag zu verankern.
Die Ansätze von Lisa Dühring sind Teil eines größeren Wandels. Achtsamkeit wird zunehmend als Antwort auf die Herausforderungen des modernen Studien- und Arbeitsalltags an Hochschulen etabliert. Vorreiter ist die überregionale Kooperationsplattform “Achtsame Hochschulen”, die mehr als 400 Mitglieder aus über 100 Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz vernetzt. Ziel ist die nachhaltige Verankerung von Achtsamkeit in Lehre, Forschung, Verwaltung und Führung. Unterstützt von internationalen Partnern wie dem Center for Mindfulness an der University of Massachusetts Medical School und dem Presencing Institute entwickelt das Netzwerk innovative Formate, die sich an den spezifischen Bedürfnissen von Hochschulangehörigen orientieren.
So gibt es beispielsweise ein Training speziell für Studierende, das klassische Achtsamkeitsübungen wie Body Scan oder Sitzmeditation mit Themen wie Prüfungsangst, Prokrastination und Studienmanagement verbindet. Für Mitarbeitende in Verwaltung und Technik wurde ein Format entwickelt, in dem es um achtsame Kommunikation, bewusste Pausengestaltung und den Umgang mit digitalen Medien am Arbeitsplatz geht. Führungskräfte können Kompetenzen wie Gelassenheit, Präsenz und achtsame Teamführung vertiefen.
Die zunehmende Verankerung von Achtsamkeit an Hochschulen zeigt, wie diese Ansätze nicht nur die individuelle Gesundheit fördern, sondern auch die Zusammenarbeit und die Strukturen in der Hochschule verbessern.
Die transformative Kraft des Yoga
Yoga entfaltet nicht nur bei den Praktizierenden umfassende Wirkungen, sondern ist auch wissenschaftlich durch eine breite Studienlage untermauert. Um Yoga einer breiteren Bevölkerung zugänglich zu machen, fehlt jedoch eine stärkere Integration in das Gesundheitssystem, insbesondere durch Angebote der Krankenkassen. Ob in der Prävention, Rehabilitation oder Gesundheitsförderung – Yoga bietet vielfältige Unterstützung für Menschen jeden Alters. Yoga ist heute als gleichwertige Methode der Komplementärmedizin anerkannt und nicht mehr mit überholten Stigmata behaftet. Es bleibt zu hoffen, dass sowohl das Gesundheitssystem als auch die Hochschullehre diesem wachsenden Trend Rechnung tragen werden.
Wer eine kleine Meditation ausprobieren möchte, kann in die folgende Audiodatei von Celine Hennig-Wilmking reinhören:
Teaserbild: Yoga-Posen, Foto von Elise Baumgärtel