Die feministische Revolution im Iran – Das Ende des Mullah-Regimes

Der gewaltsame Tod der 22-jährigen Jina Masha Amini Mitte September 2022 löste die aktuelle Revolution aus. Nach 43 Jahren der staatlichen Willkür, Repression und Todesurteilen fordern die Demonstrierenden ihre universellen Frauen- und Menschenrechte ein. Im Folgenden werden die feministische Revolution und ihre Ursprünge nachgezeichnet und die neuen Elemente der Revolution näher beleuchtet. Ein Gastbeitrag von der Referentin Gleichberechtigung und Integration bei TERRE DES FEMMES Menschenrechte für die Frau e.V.

Seit über vier Jahrzehnten werden Frauen- und MenschenrechtsaktivistInnen sowie Demonstrierende verfolgt, bedroht, verhaftet, vergewaltigt, gefoltert und getötet. Sie und ihre Familien wurden zu falschen Geständnissen gezwungen. Alleine 2019, im sogenannten blutigen November, hat das iranische Unrechtsregime innerhalb weniger Tage mutmaßlich 1.500 Demonstrierende getötet. Religiöse, ethnische und sexuelle Minderheiten sind besonders bedroht. Der aktuelle Präsident Raisi verschärfte die Durchsetzung des iranischen Verhüllungs- und Kopftuchzwangs für Frauen, der seit der 1979 gilt. Nach einigen Lockerungen greift die Sittenpolizei wieder verstärkt und auch gewaltsam durch. Das kostete Jina Masha Amini das Leben. Die Journalistin Nilufar Hamedi, die zuerst über den Tod Aminis berichtete, ist mittlerweile im berüchtigten Foltergefängnis Evin inhaftiert und ihr droht sogar die Todesstrafe.

Die islamische Rechtsprechung, die Scharia, auf die sich die iranischen Religionsführer berufen, ist nicht mit universellen Frauen- und Menschenrechten vereinbar. Die Liste der Aufzählung an Frauenrechtsverletzungen ist lang. Frauen dürfen in der Öffentlichkeit nicht singen oder musizieren. Frauen können für einen angeblichen Ehebruch gesteinigt werden. Zeigen Mädchen und Frauen eine Vergewaltigung bei der Polizei an, riskieren sie, auch strafrechtlich verfolgt und gar gesteinigt zu werden, weil ihnen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe vorgeworfen werden kann. Der Iran wendet die Todesstrafe an und hat von Januar bis Juni 2022 schon 251 Todesurteile vollstreckt (Quelle Amnesty). Im Sommer 2022 sind zwei bekannte LGBTQI Aktivistinnen, Zahra Sedighi und Elham Choubdar, zum Tode verurteilt wurde. Die Todesstrafe für Homosexualität oder die Abkehr vom islamischen Glauben sind nicht mit internationalen Frauen- und Menschenrechten vereinbar. Speziell das Justizsystem zeigt die strukturelle Diskriminierung und system-inhärente Unterdrückung auf: Vor Gericht ist eine Aussage einer Frau nur halb so viel Wert wie die eines Mannes. Frauen dürfen selbst nicht Richterinnen werden. Das Ehe- und Familienrecht privilegiert Männer: Ein Vater darf entscheiden, ob seine Tochter studieren, arbeiten oder heiraten darf. Nach der Hochzeit entscheidet der Ehemann. Mädchen gelten ab 9 Jahren als volljährig, müssen ein „Kinderkopftuch“ tragen und können verheiratet werden.

Vor diesem Hintergrund sollte die feministische Revolution im Iran eingeordnet werden: Sie ist alters-, gender-, schichten- und ethnienübergreifend, sie findet seit Mitte September 2022 zeitgleich in allen Landesteilen, in Dörfern und großen Städten statt. Die Demonstrierenden fordern nicht mehr wie zuvor Reformen, sie fordern die Revolution, die Abschaffung der Theokratie. Sie fordern mit ihrem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ universelle Frauen- und Menschenrechte ein. Das ist das neue Element an der aktuellen Revolution. Getragen wird diese Revolution vor allem von Mädchen und Frauen. Frauen fordern ihre Freiheit und ihre sexuelle Selbstbestimmung. SchülerInnen schreiben auf die Tafeln: „Für meine Schwester, deine Schwester, unsere Schwester“. Es gibt Berichte aus Klassenzimmern, in denen Mädchen sich nicht im Sinne des Regimes äußern und der Lehrer drohend fragt, wie der Name der Schülerin sei, sie daraufhin antwortet: „Ich heiße Masha Amini“. Die nächste Schülerin steht auf und sagt: „Ich heiße Masha Amini“ – bis die ganze Klasse aufsteht und gemeinsam sagen „Wir alle sind Masha Amini“. Sie solidarisieren sich im Wissen, dass sie dafür hart bestraft werden können. Schülerinnen sollen so schwer verprügelt worden sein, dass sie starben. Werden sie inhaftiert, droht ihnen zudem schwerste sexualisierte Gewalt. SchülerInnen werden gezielt vergewaltigt und nach Hause geschickt, um sie einerseits zu brechen und um andere „abzuschrecken“.

Der hartnäckige Widerstand bei den Mädchen und Frauen wird auch von dem Wissen genährt, dass seit 43 Jahren die Hälfte der Bevölkerung nur deswegen entrechtet und diskriminiert, weil sie eben weiblich ist. Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi sagte dazu: „Die zentrale Parole überall im Land lautet: „Zan, Zendegi, Azadi.“ Frau, Leben, Freiheit. Die Parole zeigt deutlich, was für ein System die Menschen im Iran haben wollen: Demokratie und Säkularismus, denn nur in einem solchen System können Frauen die gleichen Rechte haben. Nur in solch einem politischen System kann die genderbasierte Diskriminierung beendet werden.“ (Quelle taz). In einer Theokratie wie der islamischen Republik kann der Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ nur als feministische Revolution gelesen werden. Mullahs haben keine Berechtigung mehr im System.

Wir, als Zivilgesellschaft, sind als SchallverstärkerInnen der Demonstrierenden gefragt. Wir können die Stimme all jener IranerInnen sein, die das Regime versucht, mundtot zu machen. Mediale Öffentlichkeit bietet einen gewissen Schutz. Bei unseren PolitikerInnen können wir politische Patenschaften für Gefangene anfragen. IranerInnen fordern, dass man sie nicht mal aktiv unterstützen müsse, es reiche, wenn die Regierungen nicht mehr das iranische Regime unterstützen.

Total
0
Shares
Ähnliche Beiträge
Mehr lesen

Das leise Aussterben der Landwirte

Jedem aufmerksamen Autofahrer sind sie mit Sicherheit schon aufgefallen: Grüne Kreuze säumen den Straßenrand an den vielbefahrenen Land- und Bundesstraßen in der Region 38. Doch der Sinn dieser Kreuze ist nur den Wenigsten bekannt. Sie sind Teil der Protestaktion der Landwirte gegen die neuesten Beschlüsse des Bundesumweltministeriums.
VON Hanna Kalberlah
Mehr lesen

Volle Tonne, leerer Magen

Der Gang zur Tafel kostet bedürftige Menschen große Überwindung. Die Tafel in Wolfenbüttel bietet den Menschen eine Möglichkeit auch bis zum Ende des Monats noch Essen für sich und die Familie auf den Tisch stellen zu können, das sonst in der Supermarkttonne landen würde.
VON Sue-Ann Nauwald
Mehr lesen

Musik für Gehörlose spürbar machen

Nicht hören zu können, ist für die meisten Menschen kaum vorstellbar – für knapp 80.000 Deutsche jedoch Realität. Ein Soundshirt soll es Gehörlosen ermöglichen, Musik zumindest physisch spürbar zu machen.
VON Anna-Maria Daub