CSD, Pride Month, queerer Poetry Slam – die Liste von Veranstaltungen für die queere Community ist lang. Gleichzeitig gibt es laut dem Bundeskriminalamt steigende Zahlen von queerfeindlichen Straftaten. Die Frage stellt sich: Wie steht es um die Freiheit der queeren Community im Land und was hat diese mit den aktuellen politischen Entwicklungen zu tun?
Um der Frage auf den Grund zu gehen, habe ich mich mit Menschen getroffen, die Queerfeindlichkeit aus erster Hand erleben: mit den beiden Organisierenden von Pebbles, dem queeren Poetry Slam Braunschweig. Seit 2023 veranstalten Leo und Gesa regelmäßig Poetry Slams, meist im Staatstheater Braunschweig. Sie erzählen mir, dass die aktuelle politische Lage weder bei den Schreibworkshops noch bei den Auftritten selbst einen negativen Einfluss habe.: „Wir haben bisher keine Queerfeindlichkeit während der Veranstaltungen erlebt, was sehr erfreulich ist.“ Das liege vor allem daran, dass das Publikum wisse, worauf es sich einlasse. Doch im beruflichen und privaten Alltag sehe das schon ganz anders aus. Vor allem in ihrer Arbeit abseits von Pebbles wäre es schon häufiger zu Konfrontationen gekommen, von schiefen Blicken bis hin zu diskreditierenden Kommentaren und Handlungen.
Queere Freiheit der letzten Jahre
Ein Blick auf die Zahlen zur Hasskriminalität gegenüber der LGBTQI+-Community zeigt eine negative Entwicklung. Bereits im vergangenen Jahr veröffentlichte das Bundesministerium des Innern dazu: „Die Zahl der Straftaten im Bereich sexuelle Orientierung und geschlechtsbezogene Diversität hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.“ Diese Übergriffe nehmen also schon seit einem Jahrzehnt kontinuierlich zu. Wieso ist es dennoch aktuell wichtiger denn je, sich mit queerer Freiheit auseinanderzusetzen und diese zu schützen?
Stadt, Land, rechts
Seit über zehn Jahren steigen die Wahlergebnisse einer Partei, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz bereits vor vier Jahren als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wurde.
Die Alternative für Deutschland (AfD) konnten ihre Wählerstimmen bei den Bundestagswahlen, seit ihrer Gründung 2013, vervierfachen. Dabei findet die AfD besonders im ländlichen Raum Zuspruch. Gesa, vom queeren Poetry Slam Pebbles, bereitet das Sorgen. Sie befürchtet, dass die Anfeindungen gegenüber der LGBTQI+-Community gerade auf dem Land noch weiter zunehmen könnten: „Ich habe Angst um die queeren Menschen in Communities, die nicht sicher sind. Und das ist nicht Braunschweig, aber das ist Salzgitter, das ist Peine, das ist Goslar, das ist Gifhorn.“
Auch sie beobachtet eine wachsende Spaltung von Progressivität zwischen Stadt und Land. Schon häufiger bekamen sie Anrufe von Eltern queerer Kinder, die von ihren Bedenken berichteten, in Orte wie Salzgitter zu ziehen. Der Grund: ihre Kinder könnten dort nicht mehr sicher leben.
Problemkind Osten
Gerade der Osten Deutschlands sorgt immer wieder mit negativen Schlagzeilen zum Thema Rechtsextremismus und Anfeindungen gegenüber der LGBTQI+-Community für Aufmerksamkeit. Dort wird eine politische Spaltung immer deutlicher. Eher als paradox erscheint die Entwicklung erklärbar: Während der Osten durch starke AfD-Wahlergebnisse auffällt, entstehen zugleich in immer mehr – auch kleineren – Orten neue Angebote und Veranstaltungen für die queere Community. Beides hängt zusammen, je sichtbarer rechtspopulistische Tendenzen werden, desto deutlicher machen viele Menschen ihre gegenteilige, offene Haltung sichtbar. Das verdeutlicht sehr gut, wie sehr nicht nur das Land, sondern auch die Menschen in kleineren Gemeinden politisch zerrissen sind. Denn das eine wächst mit dem anderen als Reaktion.
Rheinsberg – eine 4.500-Seelen-Stadt. Meine Heimat. Gelegen im brandenburgischen Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Seitdem ich denken kann, ist es für mich ein sehr nachbarschaftlicher Ort mit vielen Kulturschaffenden. Ich habe den Eindruck, dass sich die öffentliche Meinung dort in den letzten Jahren spürbar nach rechts verschoben hat. Nach meiner Wahrnehmung gewinnen einige politisch aktive, erzkonservative und rechte Personen zunehmend an Zuspruch, und ihre oft queerfeindlichen Positionen werden in der Öffentlichkeit offenbar seltener offen hinterfragt.
Umso erfreulicher für die Queere Community dürfte es da sein, dass in so einem unscheinbaren Ort, dieses Jahr schon zum zweiten Mal ein Christopher Street Day stattfindet. 2024 wurde dieser in Rheinsberg erstmals organisiert – als Zeichen gegen den wachsenden Rechtsruck, damals mit 250 Teilnehmenden. Dieses Jahr wird die deutsche Indie-Band Kraftklub auftreten – eine Band, die aus Chemnitz kommt und seit vielen Jahren Fans aus ganz Deutschland mit ihren authentischen und ungefilterten Texten begeistert. Es ist zu erwarten, dass ein Auftritt dieser Größenordnung die Besucherzahl des Vorjahrs deutlich übertreffen wird.
Trotz kleiner Erfolge bleibt besonders der Osten Deutschlands eine problematische Region, wenn es um die Freiheit und Sicherheit der queeren Menschen geht.
Lage in Braunschweig und Niedersachsen
„Wir finden immer wieder neue Menschen, die auftreten wollen. Der Bedarf hört da nicht auf.“, erklärt Gesa von Pebbles. Die Veranstaltungen im Staatstheater Braunschweig seien bisher immer ausverkauft gewesen. Der Erfolg des queeren Poetry Slams sei nur einer von vielen Markern dafür, dass sich die LGBTQI+-Community in Braunschweig vergleichsweise wenig um ihre Freiheit sorgen müsse.
Dennoch erzählen Gesa und Leo, gebe es immer wieder Menschen, die ihnen Steine in den Weg legen. Häufig werde dies mit dem Vorwand begründet, man müsse Kinder vor „queeren Einflüssen“ schützen.
Besonders eindrücklich schildern sie eine Situation bei einem Kids Play Date – einem Treffen, bei dem Eltern mit ihren queeren und trans* Kindern einen geschützten Raum zum Erfahrungsaustausch finden sollen: „Da hatten wir es schon, dass eine Person mit einem um den Bauch gewundenen Plakat hier an der Straße stand und die ankommenden Eltern belästigt hat.“ berichtet Gesa. Doch die Polizei griff ein und entschärfte die Situation.
Und genau darin liegt ein zentraler Punkt: Schutz und Unterstützung der queeren Community durch staatliche Behörden. Ohne ihre Unterstützung ist die Community der Hasskriminalität und Diskriminierung oft schutzlos ausgesetzt. Das gilt nicht nur für das reale Leben, sondern ebenso für den digitalen Raum.
Von mangelndem Schutz bei Anfeindungen im Internet berichtet auch Leo: „Wie oft habe ich Dinge gemeldet, Leute blockieren oder sperren lassen und tatsächlich Sachen angezeigt, wo ich wusste, wer das persönlich war, und es passiert nichts. Das ist das, was belastet.“
Auch in Niedersachsen sind queerfeindliche Straftaten laut dem Queeren Netzwerk Niedersachsen (QNN) bereits 2023 siebenmal so hoch gewesen, wie noch im Jahr 2020. Tendenz steigend.
Als Reaktion darauf richtet das QNN eine Fach- und Meldestelle für Queerfeindlichkeit ein. So können Straftaten gegenüber der LGBTQI+-Community in Zukunft besser erfasst werden. Die daraus resultierenden Statistiken können somit den staatlichen Instanzen besser verdeutlichen, wie es um die queere Freiheit in Niedersachsen steht und wie wichtig es ist, gegen die steigende Hasskriminalität anzukämpfen und die Community zu schützen.
Am Ende lässt sich allerdings festhalten, dass die queere Freiheit in Braunschweig zumindest noch nicht akut gefährdet ist. Gleichzeitig ist Handlungsfreiheit in der queeren Community aber auch kein selbstverständliches Gut. Sie muss immer wieder aufs Neue verteidigt und erkämpft werden.
Aktuelle Politik und LGBTQI+
Das Selbstbestimmungsgesetz, Blutspenden auch von schwulen, bisexuellen und Transmenschen, sowie gesetzliche Regelungen zur Bekämpfung von Hasskriminalität gegen die LGBTQI+-Community. All das hat die Ampelkoalition in ihrer vergleichsweise kurzen politischen Amtszeit für die queeren Menschen im Land erreichen können. Wie sicher sind diese Errungenschaften, wenn bald eine neue Regierung die Arbeit übernimmt?
Die CDU kündigte bereits vor ihrem Wahlsieg im Februar an, sie wolle das Selbstbestimmungsgesetz abändern. „Das Selbstbestimmungsgesetz […] erlaubt bei Kindern und Jugendlichen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen auch ohne Gutachten oder Beratung und gerichtliche Entscheidung zu ändern. Das lehnen wir entschieden ab. […] Es braucht in jedem Fall unabhängige psychologische Gutachten.“ Auch operative Eingriffe zur Geschlechtsangleichung werden im Wahlprogramm als „leichtfertige Geschlechtswechsel“ abgestempelt. Die CDU steht dem Thema rund um LGBTQI+ also weiterhin kritisch gegenüber.
Unter Parteichef Friedrich Merz bleibt unklar, wie sich die Politik gegenüber queeren Menschen künftig entwickeln wird. Doch schon im Wahlkampf wurde deutlich: LGBTQI+- Rechte stehen bei der CDU offenbar nicht weit oben auf der Agenda.
Queere Freiheit in Gefahr?
Ob die queere Freiheit in Deutschland aktuell wirklich gefährdet ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Realität sieht regional sehr unterschiedlich aus. Besonders in Großstädten ist die Akzeptanz und Offenheit spürbar größer. Doch vor allem in ländlichen Regionen und in den neuen Bundesländern ist schon seit Jahren eine Rückentwicklung der Toleranz gegenüber der queeren Community zu erkennen. Wobei sich gleichzeitig auch viele Gemeinden immer stärker für queere Freiheiten einsetzen.
Die Spaltung zwischen progressiver und queerfeindlicher Haltung ist da. Und sie wird größer. Queere Menschen leben seltener auf dem Land, denn sie fühlen sich häufig nur in größeren Städten wirklich sicher und eben auch freier.
Titelbild: Pride Flags, Foto von Nina Brandt