Mit Too Good To Go gegen Lebensmittelverschwendung

Bis 21 Uhr sind die meisten Restaurants täglich geöffnet. Nach Ladenschluss wandern die Reste in den Müll, insgesamt sind es in Deutschland elf Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr. Ein riesiges Problem, das gleichzeitig großes Potential mit sich bringt?

Bei Lebensmitteln kann unterschieden werden zwischen Lebensmittelverlusten, Lebensmittelabfällen und Lebensmittelverschwendung. Laut der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) erfolgen Lebensmittelverluste entlang der Versorgungskette und der Produktion, zum Beispiel während der Ernte, der Handhabung und der Lagerung nach der Ernte sowie bei der Verarbeitung und beim Transport. Lebensmittelabfälle seien hingegen Lebensmittel, die sich für den menschlichen Verzehr eignen, aber von VerbraucherInnen aus verschiedenen Gründen entweder aussortiert werden oder verderben. Lebensmittelverschwendung sei der Oberbegriff und beschreibe eine Reduzierung der Menge und/oder der Qualität von Lebensmitteln, die ursprünglich für den menschlichen Verzehr bestimmt waren. Diese Reduzierung findet in allen Phasen des Lebensmittelsystems von der Produktion bis zum Konsum, unabhängig vom Grund statt.

Wo werden Lebensmittel verschwendet?

Während der Lebensmittelproduktion werden Schätzungen zufolge bereits 500 Millionen Tonnen weltweit verschwendet. Gründe dafür seien unter anderem optische Mängel oder der fehlende Zugang zu Pflanzenschutzmitteln.Weitere 350 Millionen Tonnen Abfall fallen während der Handhabung und Lagerung der Lebensmittel an. Die Hauptursachen für Lebensmittelverschwendung während dieser Phase der Versorgungskette seien fehlende Lager und Kühlanlagen, Haltbarkeitsangaben und mangelnde Kapazitäten bzw. ein ungeeignetes Lagermanagement.
Laut des BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) landen elf Millionen Tonnen an Lebensmitteln in Deutschland jährlich im Müll. 24 Prozent der Lebensmittelverschwendung entstehen bei der Verpflegung außer Haus und dem Handel. Überbestände, zu große Portionen und fehlende Lagermöglichkeiten sind nur einige der Beispiele dafür, warum es in Supermärkten und Restaurants zu Lebensmittelverschwendung kommt.

Das Ausmaß von Lebensmittelverschwendung ist groß

Täglich werden mehrere Millionen Tonnen an Essen verschwendet. Dabei gehen nicht nur Unmengen an Ressourcen wie Wasser, Boden und Energie verloren, sondern auch das Klima wird geschädigt. Laut Schätzungen der Umweltschutzorganisation WWF ist Lebensmittelverschwendung für zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und damit ein Haupttreiber der Klimakrise.
Die deutsche Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, die Verschwendung von Lebensmitteln bis zum Jahr 2030 zu halbieren und damit der Klimakrise entgegenzuwirken. „Um die Herausforderung zu meistern und eine positive Ernährungswende voranzutreiben, spielt die Planung der Außerhausbetriebe und des Einzelhandels eine wesentliche Rolle“, sagt Marcel Mraß. Der 22-Jährige ist politisch sehr aktiv und setzt sich mit Themen wie Lebensmittelverschwendung in Braunschweig auseinander. Laut ihm spiele auch das Engagement von Städten eine entscheidende Rolle.

Doch nicht nur die Politik fängt nun an zu handeln, um der Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken. Die Firma Too Good To Go hat es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, bei Lebensmittelverschwendung Abhilfe zu schaffen

Too Good To Go

„Unsere App ist der weltweit größte Business-to-Consumer (B2C)-Marktplatz für überschüssige Lebensmittel”, sagt Johanna Paschek, Marketing- und PR-Managerin von Too Good To Go.
Too Good To Go wolle alle Menschen dazu inspirieren, sich für die Rettung von Lebensmitteln stark zu machen und habe dafür eine simple Lösung parat: Die gleichnamige App verbindet Bäckereien, Restaurants, Supermärkte und andere Betriebe aus Gastronomie und Handel mit KonsumentInnen, damit überschüssiges Essen auf dem Teller und nicht in der Tonne lande.
„Lebensmittel werden entlang der kompletten Wertschöpfungskette verschwendet. Deshalb ist es so wichtig, alle beteiligten AkteurInnen mit ins Boot zu holen, um an unterschiedlichen Stellschrauben zu drehen. Nur, wenn alle mit anpacken, können wir unser Ernährungssystem umkrempeln”, so der neue Too Good to Go-Geschäftsführer Wolfgang Hennen. In Deutschland beteiligen sich laut Too Good To Go aktuell mehr als 14.000 PartnerInnen aus dem Lebensmittelhandel und Außerhaus-Markt. Neben der App setze sich Too Good To Go über Aufklärungskampagnen wie „Oft länger gut“, Bildungsarbeit und auf dem politischen Parkett für die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung ein.

„Oft länger Gut“ ist eine Aufklärungskampagne gegen Food Waste, also Lebensmittelverschwendung. Um Lebensmittelverschwendung in Privathaushalten zu reduzieren, arbeitet Too Good To Go mit LebensmittelherstellerInnen zusammen. Viele Lebensmittel werden ab dem Mindesthaltbarkeitsdatum entsorgt, obwohl sie noch gut sind. Damit das verhindert werden kann, wird das „Oft länger gut“-Label auf dem Produkt platziert. Laut Too Good To Go werden „im besten Fall wieder die eigenen Sinne genutzt, bevor ein Produkt in der Tonne landet: SCHAUEN-RIECHEN-PROBIEREN.“
Um mehr über Lebensmittelverschwendung zu erfahren, hat Too Good To Go den „Knowledge Hub“ entwickelt. Eine Wissensplattform, auf der Informationen, Quellen und Inspiration zum Thema an einem Ort gesammelt werden.
Mit ihrer Initiative „Städte gegen Food Waste“ bringe das Unternehmen zudem engagierte Städte in einem Netzwerk zusammen, um die Lebensmittelrettung im städtischen Raum zu stärken und so einen wichtigen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu leisten. Im Rahmen der Initiative würden konkrete Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, um Essen vor der Verschwendung zu bewahren. Aktuell sind zehn Städte Teil des Netzwerkes. Die Partnerstädte, zu denen unter anderem Kiel, Bochum und Köln gehören, erarbeiten verschiedene Aktionen, um Lebensmittelverschwendung vor Ort zu bekämpfen.
Im Mittelpunkt stehe vor allem die Förderung der Umverteilung von überschüssigen Lebensmitteln und die gezielte Aufklärungsarbeit innerhalb der Bevölkerung. Darüber hinaus fungiere die Initiative als eine Austauschplattform für Partnerstädte, um Best Practices zu teilen und die Lebensmittelrettung deutschlandweit voranzutreiben.

Too Good To Go-Nutzung im Alltag

 „Wir bei Too Good To Go haben uns voll und ganz der Rettung von Lebensmitteln verschrieben”, sagt Johanna Paschek. Jeden Tag werden in Außerhaus Betrieben und Supermärkten gute Lebensmittel in den Müll geworfen. Mit Too Good To Go lassen sich diese Lebensmittel zu einem vergünstigten Preis verkaufen.
Sarah G. arbeitet bei Dean&David in Braunschweig. Sie nutzt die App privat selbst regelmäßig. Das Konzept funktioniere bei Dean&David sehr gut und lasse sich ohne Probleme in den Restaurantalltag integrieren.

Die Betriebe, die teilnehmen wollen, registrieren sich auf der Internetseite. Anschließend stellen sie ihr übriggebliebenes Essen als „Magic Bag“ in der App ein. Die NutzerInnen können diese reservieren. Sie bezahlen im Voraus über die App und holen das Essen in einem vorgegebenen Zeitraum vor Ort ab. Too Good to Go erhält bei jeder verkauften Magic Bag eine Provision von 1,19 Euro.

In Braunschweig und Umgebung (20km) bieten 19 Betriebe ihre Magic Bags an. Die NutzerInnen können in der App ihren Standort und den Umkreis angeben, in dem sie ihre Lebensmittel abholen möchten und bekommen so verfügbare Angebote angezeigt. Neben Restaurants und Cafés bieten auch Supermärkte, Tankstellen und Hotels Magic Bags an. Viele der Angebote seien nach wenigen Minuten direkt ausverkauft.

Die NutzerInnen geben ihren Standort an und kriegen die Angebote in ihrem Umkreis angezeigt. Die Magic Bags sind zu unterschiedlichen Zeiten verfügbar, meistens dann, wenn der Betrieb schließt. Nachdem die KundInnen ihren Kauf über die App bezahlt haben, können die Lebensmittel in dem vorgegebenen Zeitfenster abgeholt werden. In der App wird den NutzerInnen angezeigt, welcher Wert in der Tüte enthalten ist und wie viel sie bezahlen. Die Tüten kosten durchschnittlich vier bis fünf Euro und sollen einen Wert von zehn bis 15 Euro enthalten.
Jessica Pieler hat die App mehrmals benutzt, um sich eine fertig zubereitete Mahlzeit abzuholen. Sie hat das Konzept in Braunschweig und Hannover ausprobiert.

Neben Außerhausbetrieben wie Restaurants und Cafés wird Too Good To Go im Einzelhandel immer beliebter. Rund 41.000 Supermärkte in 17 Ländern verkaufen ihre überschüssigen Produkte über die App an lokale KundInnen. Gerade bei Studierenden sind die Überraschungstüten von Supermärkten sehr beliebt. Dabei können sie oftmals unterscheiden, ob sie eine Tüte mit Obst und Gemüse oder Frischeartikeln wie Joghurt oder Käse bekommen möchten.
Kathrin Jagusch rettet regelmäßig Lebensmittel, indem sie sich eine Magic Bag von verschiedenen Supermärkten oder Bäckereien holt. Laut ihr sind die Lebensmittel zum Großteil noch genauso gut, wie die, die zum Normalpreis verkauft werden.

„Too Good To Go ist bei uns sehr beliebt“, sagt Philip Hindinger, Marktleiter bei Alnatura in Braunschweig. Größtenteils kämen Studierende, aber inzwischen würden auch viele ältere Menschen die Lebensmittel über die App holen. In diesem Fall bekommen die KunInnen eine Tüte im Wert von zwölf Euro. Die Menge dabei variiere dementsprechend. „Wenn mal eine Papaya dabei ist, freut sich der Kunde natürlich, aber dafür ist es insgesamt deutlich weniger Inhalt.“ Der Inhalt der Tüte richte sich also danach, welche Lebensmittel übrigbleiben und noch gut verwertbar, aber nicht mehr verkäuflich sind.
Schwierig werde es erst, wenn man nicht alles isst und dann eine Überraschungstüte abholt. Marek Hilbert schildert, dass das schon öfter ein Problem war, als er sich seine Überraschungstüte abgeholt hat. Generell sehe er das Problem, aber nicht bei Too Good To Go selbst.

Laut des Unternehmens konnten in Deutschland mit mehr als 16 Millionen Partnerbetrieben und der Too Good To Go-Community mit rund 8,9 Millionen Menschen bereits mehr als zwölf Millionen Mahlzeiten gerettet und somit 30.000 Tonnen CO2 eingespart werden.
Laut Philip Hindinger von Alnatura sei es sinnvoll, neben Too Good To Go noch andere Wege im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung zu nutzen. Gerade im Einzelhandel könne man zusätzlich noch mit Foodsharing oder der Tafel zusammenarbeiten. Dennoch helfe das Konzept ungemein dabei, übriggebliebene Lebensmittel zu verwerten. „So viele AnbieterInnen gibt es in Braunschweig aktuell noch nicht. Es steckt halt ein gewisser Aufwand dahinter, vielleicht lohnt sich das für den einen oder anderen nicht.“ Je mehr AnbieterInnen es gibt, umso mehr Lebensmittel könne man jedenfalls retten. Natürlich ist es heute noch nicht möglich, Lebensmittelverschwendung komplett einzudämmen. Dennoch ist mit den heutigen Lösungen bereits eine gute Basis für eine nachhaltigere Zukunft geschaffen.

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